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THE DRESDEN DOLLS – DAHLIA

Ort: Berlin - Knaack

Datum: 24.09.2004

Abendgestaltung der eher spontanen Art: Einen Tag vor dem Konzert hatte ich erst von der Existenz dieser Formation erfahren. „Brechtian Punk Cabaret“ sollte es sein, was Amanda Palmer und Brian Viglione aus Boston da auf die Beine stellen. Den Rest des Tages verbrachte ich damit, die informative Homepage zu sichten, mich durch die Musik zu hören und völlig begeistert zu beschließen, am folgenden Abend dem Knaack einen Besuch abzustatten. Ich schien beinahe einen aufsteigenden Stern verpasst zu haben, denn die Berliner Institution in Sachen Independent Rockmusik wurde erstaunlicherweise rappelvoll.

Früher als erwartet fiel dann auch schon der Startschuss – allerdings nicht mit den DRESDEN DOLLS. Stattdessen betrat ein unbekanntes Mädchen in weißen Lackhotpants, hohen Stiefeln und einem roten Jäckchen die Bühne, rückte die weiße Ballonmütze zurecht und begann mit ihrem Vorprogramm. Das bestand aus versucht-erotischen Bewegungen und einer Art Sprechgesang zu Electropop à la LADYTRON vom Band. Nichts, was das Publikum wirklich vom Hocker reißen konnte, in einem angemessenen Club wäre ihr Programm vielleicht gar nicht schlecht gelaufen. Zu dieser Zeit an diesem Ort aber wirkte die aus New York stammende Wahlberlinerin DAHLIA aber einfach nur deplaziert und zum Ende ihrer extrem basslastigen Show schienen die Zuhörer eher erleichtert.

Um so lauter der Jubel, als die DRESDEN DOLLS weiß geschminkt endlich die Bühne betraten und mit „Good Day“ den angenehmen Teil des Abends eröffneten. Der Funke sprang auch gleich aufs Publikum über; erstaunlich, wie sich allein mit Schlagzeug und E-Piano so eine warmer, voller Sound bewerkstelligen ließ. Die Outfits entsprachen denen auf Pressefotos – Brian in weißem Hemd, kurzen Hosen, Krawatte und Bowlerhut, Amanda in schwarzem Kleidchen und Ringelstrapsen. Erschreckend am Anfang das riesige Pflaster, welches Brian am Hals spazieren trug. Wie Amanda erklärte: beim Dreh für das TV_Magazin „Polylux“ habe er sich da an diesem Nachmittag selber mit einem Regenschirm verletzt! Ein Versehen, welches einen vierstündigen Krankenhausaufenthalt nach sich zog, wo die Wunde mit 6 Stichen genäht werden musste. „Fucking Scheisstag!“ – so Amandas Fazit zu diesem Zwischenfall.

Nichtsdestotrotz legten die beiden eine ungeheure Spielfreude und gute Laune an den Tag und unterhielten zwischen den Liedern das Publikum mit humorvollen Ansagen und Kommentaren („Hey, you, will you tell me, when I start bleeding?“). Beim Refrain von „Backstabber“ zeigte Brian dann, dass er neben hochdynamischem Drumming auch für Backingvocals durchaus einsetzbar ist. Überhaupt boten die DRESDEN DOLLS eine energiegeladene Show, auch wenn sie hinter ihren Instrumenten bleiben mussten. Brians pantomimenhafte Mimik bot einen krassen Gegenpol zu seinem Einsatz: mal vollends auf die Felle eindreschend, mal sie nur zart und leise antippend. Immer in Synchronisation mit dem Spiel und dem Gesang von Amanda, die hinter ihrem Keyboard ebenfalls nicht stillsitzen konnte, teilweise wie ein Berserker über die Tasten fuhrwerkte, sang, flüsterte und röhrte… und eine unglaubliche Körperlichkeit versprühte. Spätestens bei „Coin-operated Boy“ war das Publikum dann komplett hingerissen und sang lautstark mit. Sichtlich erfreut scherzte Amanda danach, nun komme man zum Heavy-Metal Part des Sets. Während sich Brian endgültig das Pflaster herunterriss und verschmitzt grinsend seine recht grausig aussehende Narbe präsentierte, fügte sie etwas ernsthafter hinzu, das folgende Cover habe man aus politischer Überzeugung auch schon auf den Konzerten in den Staaten gespielt. Im Nachhinein stellte sich jener „Folksong“ dann als eine umjubelte Version von BLACK SABBATH’s „Warpigs“ heraus.

Es folgten das ruhige „Glass Slipper“ und „Sex Changes“, bevor man Schlagzeug und Keyboard verließ, Brian sich die Gitarre griff und sich das Geschehen etwas weiter in die Nähe des Publikums verlagerte. Ein weiteres Cover wollten sie spielen, diesmal griffen die DOLLS auf Jacques Brel zurück und Amanda begann, den Klassiker „Amsterdam“ zu intonieren. Zumindest so lange, bis die Verstärkung der Gitarre vorläufig ausfiel und für eine Zwangspause sorgte, in der neues Bier geordert wurde und den Gästen im Überschwang Freibier versprochen wurde, wenn sich der Ausfall nicht beheben lasse. Um die Wartezeit zu überbrücken, erzählten sie noch einmal ausführlich die Geschichte, wie es zu Brians Verletzung gekommen war: Zuerst Brian auf englisch, während Amanda eine etwas unorthodoxe Art des Gitarrespielens betrieb. Dann kam von ihr die erstaunlich akzentarme deutsche Übersetzung – ein netter Service, der trotz angeblicher Sprachschwierigkeiten („Mein Deutsch ist im Arsch…“) sehr gut gelang. Der längere Deutschlandaufenthalt vor einigen Jahren schien doch seine Spuren hinterlassen zu haben.

Letztendlich war das Technikproblem dann auch behoben und das Bier zur Stelle, so dass „Amsterdam“ noch einmal komplett, ausfallfrei und sehr intensiv vorgetragen wurde, was das Publikum durch stetiges Mitklatschen honorierte. Danach ging es noch einmal zurück an Drumkit und Keys für meinen persönlichen Höhepunkt des Abends, den Gänsehautgaranten „Half Jack“. Mit dem hektisch-abgedrehten „Girl Anachronism“ beschlossen die DRESDEN DOLLS ihr Set und verabschiedeten sich schweißgebadet und mit verlaufener Schminke von den Gästen. Aber kein Konzert ohne Zugabe und so kam man zusätzlich noch in den Genuss des ruhigen aber packenden „Truce“. Eine letzte Gänsehaut zum Abschluss, eine wehmütige Melodie für den Heimweg, welche dieses ungewöhnliche Konzert noch lange nachklingen ließ.

Setlist THE DRESDEN DOLLS:
Good Day
Gravity
Missed Me
Backstabber
Bad Habit
Coin-operated Boy
War Pigs (BLACK SABBATH-Cover)
Glass Slipper
Sex Changes
Amsterdam (JACQUES BREL-Cover)
Half Jack
Girl Anachronism

Truce

Copyright Fotos: Antje Wagler

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