Ort: Essen - Zeche Carl
Datum: 08.03.2004
Kein gewöhnlicher Auftritt: Essen ist erste Station auf der aktuellen Europatournee von THE GATHERING, somit für alle Beteiligten, Band, Veranstalter und Publikum gleichermaßen spannend. Der kompakte Schuhkarton der Zeche Carl präsentiert sich bis zu den Glastüren mit zwei Reihen aus Stühlen, beide schon deutlich vor Beginn komplett mit nervös wartenden Fans gefüllt: Das Konzert ist bereits seit Wochen ausverkauft und nur im Halbschatten zwischen Eingang und Toilette stehen einige dunkle Figuren, die flüsternd um eine Karte flehen. Eine Zusammenkunft für wenige Auserwählte also, die durchaus nicht nur in Schwarz gekleidet im Foyer bei Bier, Wein und Gespräch zusammenstehen und so den ohnehin bereits im Vorfeld herangezüchteten Eindruck, es handele sich hierbei um ein ganz besonders intimes Ritual, noch verstärken. Theater war einem versprochen worden, halbakustische Leisetreterei und eine Band zum Anfassen, dabei sollte alles ganz anders kommen, doch davon später. Denn um halb neun kommen erst einmal FLOWING TEARS auf die Bühne, Senkrechtstarter seit ihrem letzten Album und für den gesamten Deutschlandableger als Vorband gebucht. Die Aufmachung der Gruppe, mit den weiße Anzüge tragenden Jungs und neuer Sängerin Helen Vogt in wallendem Rot gemahnt zunächst ein wenig an die WHITE STRIPES, doch die ersten Klänge lassen alle diesbezüglichen Gedanken verstummen. Gerade in den frühen Songs wird eine stets um die Vermeidung von Cliches bedachte Truppe erkennbar, deren Songs auf ungewöhnlich mäandernden Harmoniebögen basieren und deren Instrumentalisten es verstehen, sich bei einem homogenem Gesamtklang eine gewinnbringende Individualität zu bewahren – völlig überdrehte Gitarrensoli und zum Teil seltsam kindliche Keyboardsounds inklusive. Die vom demnächst erscheinenden Album gespielten Songs sind hingegen gradliniger und sofort intuitiv nachvollziehbar und dennoch von einer beeindruckenden Tiefe: „Undying“ und „Pitch Black Water“ jedenfalls überzeugen schon beim ersten Hördurchlauf und bilden auch direkt die Höhepunkte der Performance. Vogt beweist mit ihren kurzen Zwischenansagen nicht immer ausufernde Kreativität („Ihr seid ein tolles Publikum!“), legt sich aber mit ihrem ganzen Körper in die Wogen der Musik und bringt ihre gar nicht opern- oder divenhaft verklärte Stimme blendend zur Geltung: Von druckvoll über einschmeichelnd bis hin zu rauchigem BarJazz reicht ihr Repertoire. Aufmunterndes Klatschen zwischen den Stücken und mehr als höflicher Beifall zum Ende nach einer halben Stunde zeigen überdeutlich, dass hier wirklich Keiner sich gelangweilt hat.
In der Umbauphase konnte man dann den Gesprächen der Gäste lauschen, die sich darum drehten, ob das letzte Album nun ein Geschenk für die Fans oder nur politisch korrekte Abzocke gewesen sei und welche Richtung sich die demnächst frei von allen Bindungen im Kosmos ihrer Befindlichkeiten umhertreibenden Psychonauten einschlagen würden. Doch man sollte nicht zu endgültigen Antworten finden, denn schon kurz darauf wird zunächst das Licht auf der Bühne und gleich anschließend die Saalbeleuchtung gelöscht und THE GATHERING treten durch den schmalen Schlitz im den Backstagebereich abtrennenden Vorhang. Die Musiker nehmen ihre Positionen ein und es wird direkt klar, dass Sängerin Anneke im Interview mit uns zu Recht angekündigt hatte, dass sich Neuzugang Marjolein schon rein optisch optimal in die bestehenden Strukturen einfügt: Mit der Bassistin zu ihrer Linken und Gitarrist Rene zur Rechten steht eine mächtige Phalanx an der Front, hinter welcher Keyboard und Schlagzeug sicher und befreit aufspielen können. Van Giersbergen selbst erscheint im schwarzen Coctailkleid über der lockeren Hose, bereit zu verführen, bereit zu verstören. Auftakt ist einigermaßen verblüffend „Marooned“, doch schon dieser erste Song macht klar, worum es an diesem Abend geht: Um die Arbeit am entscheidenden Detail, um die kleinen Modifikationen, die so viel bewirken können und vor allem um krachenden und entfesselten Rock. Keine Klampfen, kein harmonisches Streicheln oder Lagerfeueratmosphäre: Rene Rutten mag mit seiner runden Brille und den schlacksigen Cordhosen wie ein Roadie der DOORS aussehen und zuweilen minutenlang an dem Effektpedal zu seinen Füßen herumdrehen, wenn er in die Saiten drischt, geht einem das durch Mark und Bein. Während aber „Souvenirs“ „These good People“ und vor allem “Travel” an Kraft zulegen, kommt “Broken Glass” als Klavierballade daher, mit Anneke in gänsehauterregender Topform. Überhaupt trifft die inzwischen Verheiratete jeden Ton, singt konzentriert, doch stets mit einem Lächeln im Gesicht und tanzt in den instrumentalen Passagen mit geschlossenen Augen und vollem Körpereinsatz. Weil der Rest der Truppe sich in den Dienst der Musik stellt, wird sie damit zum unangefochtenen Mittelpunkt, obwohl es auch bei ihren Mitstreitern einiges zu genießen gibt: Frank Boeijen entlockt seinen Synthesizern bemerkenswerte neue Sounds, welche das gesamte Repertoire klanglich auffrischen und Hans Rutten mag sich zwar mit seinen Kopfhörern von den Mitstreitern abschotten, doch sein energetisches Schlagzeugspiel ist ganz von dieser Welt. Der schnöde Satz, Perfektion sei langweilig wird hier ganz klar als Missverständnis entlarvt, denn nicht um polierte Glattheit geht es hier, sondern um die bestmögliche Umsetzung ganz genau definierter Ideen. Von der für Unplugged-Konzerte bekannten aufdringlichen Nähe zum Publikum ist hier denkbar wenig zu spüren, womit aber nicht angedeutet werden soll, THE GATHERING pflegten nicht den Kontakt zum Publikum. Nur das Verhuschte, Kleinskalierte, das man nach „Sleepy Buildings“ erwartet hätte, geht ihrem Auftritt gänzlich ab – was aber durchaus kein Versäumnis darstellt. Nach einer Dreiviertelstunde gibt es eine Pause, danach geht es mit einer nicht ganz so gespenstischen Darbietung von „Like Fountains“ wie noch zuletzt weiter und dem kurzen, dreiminütigen Namensgeber der Tournee. Mit diesem wunderbaren, von naivem und optimistischem Charme geprägten Stück verabschiede ich mich aber aufgrund der misslichen Lage der öffentlichen Verkehrsmittel Richtung Münster, traurig über das verpasste Ende, glücklich über jeden erlebten Moment. Man kann Entschuldigungen für Alles finden, doch nur schwerlich dafür, diese Band nicht auf einem ihrer Deutschlandkonzert zu besuchen.
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