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THE INVITATION 2004

Ort: Gent - Citadelpark

Datum: 07.03.2004

Selbst in ferne Länder begibt sich der Terrorverlag, wenn sich dort etwas Berichtenswertes zuträgt und so machten wir uns früh an diesem nasskalten Sonntag auf, um nach Belgien zu reisen. Genauer nach Gent, wo ein dreitägiges Elektro-Festival mit dem einladenden Namen „The Invitation“ stattfinden sollte. Nach längeren Überlegungen hatten wir uns entschieden, nur den Sonntag mitzunehmen, weil dort die für uns interessantesten Bands aufspielen sollten. Dadurch verpassten wir allerdings auch Formationen wie AND ONE, COVENANT, VNV NATION, KIRLIAN CAMERA oder [SITD], ein illustres Line Up das ganze. Die Fahrt verlief weitestgehend reibungslos, außer in Gent selber, wo man offensichtlich die Einbahnstrasse erfunden hat. Nach eine paar Konsultationen mit freundlichen Ureinwohnern wurde der Ort des Geschehens entdeckt, der in einem kleinen Park lag und sonst wohl Sportarten wie Radrennen beherbergt. 90 Euro kostete der Spaß für drei Tage, 40 für einen an der Tageskasse, dafür wurde aber auch musikalisch einiges geboten. Möglicherweise waren die Kosten für einige Fans aber dennoch zu hoch, denn als wir um 15 30 Uhr in das Velodrom einkehrten, war es nur sehr mäßig besucht. Dabei hatte man eine mächtige Bühne an einer Seite der Halle aufgebaut, gegenüber gab es Tribunenränge und dazu natürlich den Innenraum. Ängste, wir könnten wieder zum Sitzen verdammt sein (siehe „On a dark Winter’s Night-Festival), waren aber gänzlich unbegründet, dafür war es zu leer. So konnte man sich bei jedem Act selber aussuchen, ob man Konzert- oder Theater-Atmosphäre genießen wollte.

ELUSIVE hatten wir freiwillig verpasst und GOD MODULE auch. Letztere touren gerade mit DECODED FEEDBACK, deren Set gerade erst begonnen hatte. Und sofort wurden einige der organisatorischen Stärken sichtbar: Der Sound war nicht zu laut und wunderbar fein austariert, die Bühnenbeleuchtung ganz ausgezeichnet, zumal auch die „frühen“ Bands des Nachmittags schon darauf zurückgreifen durften. DF aus Kanada bestehen aus dem Sänger Marco Biagiotti und der Keyboard Expertin Yone Dudas. Nicht nur ihr Name klingt extravagant, sie schaut auch ebenso aus, eine wunderhübsche Dame im Elektro-Zirkus. Während sie im Hintergrund links die Tasten bediente, stolzierte der recht martialisch ausschauende Biagiotti auf der Bühne umher und präsentierte sein tiefes, kräftiges Organ. Eine Leinwand diente neben der Beleuchtung zur weiteren Untermalung des Sets, dort wurden wilde Farbspiele dargeboten. Ich bin nicht gerade mit den Stücken der Nordamerikaner vertraut, nur „Heaven“ war mir ein Begriff, dazu wurde auch ein brandneues Stück angekündigt, dessen Name in der Weite des Raumes verhallte. Musikalisch durchaus interessanter, mittelschneller, ziemlich getragener Elektro, der auf Dauer vielleicht ein wenig eintönig wirkte. Schon bei dem dynamischen Duo wurde deutlich, dass hier jeder Band ordentlich Spielzeit zugeteilt wurde, ein weiterer großer Pluspunkt des gesamten Festivals. Yone und Marco mischten sich später unters Volk und gerade das kurzgeschorene Mädel schien selber vollkommen begeistert von den anderen Acts zu sein und machte einen Haufen Fotos, alles sehr unkompliziert und sympathisch das ganze!

Danach trat genau das ein, was ich befürchtet hatte. Die ohnehin schon spärlichen Ränge lichteten sich weiter, als die Schweden von ORDO ROSARIUS EQUILIBRIO sich ankündigten. Hatten sie noch auf dem WGT 2003 vor eine begeisterten Menge aufspielen können, interessierten sich hier nur wenige für rituellen NeoFolk. Kein Wunder, war es doch ein Elektro-Publikum! Man machte dennoch gute Miene zum bösen Spiel und das beste daraus. Weit hinten auf der im übrigen sehr hohen Bühne postierten sich Tomas Pettersson, Sänger und Bandkopf, die blonde Rose-Marie Larsen links und ein weiterer Drummer rechts, der mit einem „Nihilist-Shirt“ auffiel. Nachdem das Intro zur aktuellen Scheibe „Carnage Crucifixion and Pornography“ verklungen war, folgte eine knappe Stunde ein Lehrstück in Sachen ritueller Musik, die in der großen Halle aber ein wenig unterging. Wieder wurde die Leinwand genutzt, welche mit zum teil recht plastischen Bildern (in Bezug auf Sex und Gewalt) gefüllt wurde, während das Trio mit allerlei Trommeln zum Träumen einlud. Gitarren und synthetische Klänge wurden wie schon beim WGT vom Band ergänzt. Zu den teilweise recht langen Stücken gehörten u.a. „The perplexity of hybris, I glorify myself“ oder auch „Rituals of love in the passage of genocide, Song of Rose“. Wie üblich kommunizierte man so gut wie gar nicht mit dem Publikum, in dem sich zumindest ein paar beinharte Fans befanden. In Utrecht wird man im Sommer sicher weitaus besser ankommen, mich haben sie jedenfalls wieder überzeugt, auch durch ihre freundliche Art später am Merchandising-Stand. Ach ja, ein wenig habe ich die halbnackten Fahnenträgerinnen vermisst…

Danach stand ein weiterer Höhepunkt auf dem Programm, der erwartungsgemäß auch die Massen zum ersten mal mobilisierte. Mehr als 1000 Zuschauer wurden es allerdings den ganzen Tag nicht, an den Vortagen sollen es immerhin bis zu 1500 gewesen sein. ICON OF COIL konnten gerade erst mit ihrem Album „Machines are us“ für Furore sorgen, von dem wir beim Birthquake in Duisburg schon 2 Songs hören durften: „Android“ und „Pursuit“, welches auch hier wieder den regulären Set begeisternd abschloss. Aber fangen wir von vorne an: Überraschenderweise fehlte Sebastian Komor, der durch ein nettes Cyberbarbie-ähnliches Geschöpf ersetzt wurde. Die Frau hatte zwar eigentlich nichts zu tun, aber das konnte sie gut, sehr hübsch vor allem die roten Leuchten auf ihrem niedlichen Body. Christian Lund, der zweite Keyboarder und mittlerweile festes Bandmitglied, war natürlich auch dabei, während sich die meisten Augen auf Herrn LaPlegua richteten. Dieses mal kein Lederdress mit eisernem Kreuz, dafür eine bauchfreie schwarze Weste, der gemeine Norweger kennt sich in Modefragen aus. Während er das Publikum immer wieder anpeitschte, sorgten die Beats für feuchte Füße. Zu hören gab es u.a. vom neuen Album neben den bereits erwähnten Tracks noch „Shelter“ (in Anlehnung an COVENANT) und „Dead enough for Life“ sowie die Klassiker „Regret“, „Access and Amplify“ oder „Other half of me“. Die Leinwand war mittlerweile eingefahren wurden und kam auch den ganzen Abend nicht mehr zum Vorschein, dafür war es bei IOC generell sehr dunkel. Das änderte aber nichts daran, dass LePlegua zum ersten Mal an diesem Tag ein ordentliches „Überkopfklatschen“ hinbekam. Als man nach „Pursuit“ die Bühne verließ, war die Forderung nach einer Zugabe so laut, dass man einfach kurzerhand den Ablaufplan änderte und noch einmal auf die Bühne stürmte. Sehr löblich diese Flexibilität.

Nachdem ich mich mit einem leicht pappigen Hamburger gestärkt hatte (alles wurde mit vorher zu erwerbenden Buttons finanziert) überraschte mich die Fan-Nähe der anwesenden Musiker. Sowohl Ronan Harris von VNV NATION, die ORE-Leute als auch Steffen von DE/VISION gaben Autogramme bzw. ließen sich fotografieren ohne zu murren. Letzterer musste ja nun auf die Bühne, vorher betonte er allerdings noch seine Müdigkeit bedingt durch eine wohl recht heftige Elektro-Fete am Vorabend. Ronan konnte sogar kaum noch sprechen… Auf der Bühne ließ sich Steffen seine Schlaffheit aber nicht anmerken, schon nach kurzer Zeit sprang er herum wie ein junges Reh, was uns allerdings weniger überraschte, denn er hatte selbiges Verhalten schon beim Pluswelt-Festival in Krefeld an den Tag gelegt. Und so waren auch Drummer und Gitarrist wieder mit dabei, um den melancholischen Stücken den richtigen Drive zu geben. Die Setlist war auch sehr ähnlich, neues Material gibt es ja nicht. Mich beeindruckten besonders „I regret“, „Try to forget“, „Drifting sideways“ sowie das letzte reguläre Stück „Strange affection“. Hier gab es sogar 2 Zugaben, die bereits vorab geplant waren, wobei ICON OF COIL insgesamt vielleicht etwas mehr Stimmung machten.

DAF lassen die Fans ein wenig warten. Grund der Verspätung ist ein kurzes Fernsehinterview Backstage. Gerade bei DAF ist das Medieninteresse groß, denn Teile der Show wurden mitgefilmt. Nach einem kurzen Intro werden Gabi und Robert stürmisch begrüßt. “Gabi,Gabi” Rufe begleiten den Frontman auf die Bühne. Robert geht zielsicher zu seinem Keyboard und beide rocken mit “Ich bin Tot” los. So agil wie Gabi sich bei der Show bewegt, segnet er noch lange nicht das Zeitliche. Er begrüßt das Publikum mit: “Hallo Kinder”. Dann geht es Schlag auf Schlag. Hit auf Hit. Eigentlich viel zu früh werden “Mussolini”, “Die Lippe” und “Verschwende Deine Jugend” gespielt. Die Energie, die Gabi auf der Bühne entwickelt, hat sich schon seit dem ersten Titel auf das Publikum übertragen. Was folgt ist eigentlich ein Wunschkonzert und eine sehr gute Mischung aus dem aktuellen Album und Stücke aus vergangenen Tagen: “Liebeszimmer”, “Alle gegen Alle” und “Rock hoch”. Andrew am Schlagzeug verleiht den Songs noch mehr Druck. Robert steht wie immer relativ bewegungslos hinter den Tasten. Dafür gibt Gabi vorne alles und leert eine Wasserflasche nach der anderen über seinen Körper. Jetzt folgt der Schlußspurt mit der etwas verkorksten Interpretation von “Der Räuber und der Prinz”. Was früher als homoerotisch galt ist heute laut Gabi ”Das Kinderlied”. Natürlich werden noch ”Seltsame Freunde”, ”Der Sheriff” und “Als wärs das letzte Mal” gespielt und dann ist Schluss. Keine Zugabe, nichts. Das Publikum ist merklich enttäuscht aber nicht aggressiv. Auch meiner Meinung nach wäre eine Zugabe angebracht gewesen. Songs genug sind ja vorhanden. Ein dynamischer und bemerkenswerter Auftritt der Legende, die Bands wie NITZER EBB und LAIBACH beeinflusst hat und heutigen Synthie und Future Pop Bands noch immer zeigt, wo der Hammer hängt. Leider war der Gig mit einigen technischen Schwierigkeiten gespickt. Gabi nahm’s mit Humor und entschuldigte sich dafür.

Und die Deutschmaschine lief weiter ohne Unterlass. Es war schon spät gegen Abend, als die größte Umbauaktion des Tages stattfinden sollte. Weiße durchsichtige Papp-Säulen wurden aufgebaut, welche der Szenerie einen leicht surrealen Anstrich gaben. Durch die Strahler in den Säulen gab es danach wunderschöne Effekte. Man merkte schon, dass jetzt der Headliner kommen sollte und diesem Anspruch auch gerecht werden wollte. WOLFSHEIM waren ja ursprünglich für den Samstag gebucht, mussten aber aufgrund der Echo-Verleihung umdisponieren, den sie ja schlussendlich auch gewannen (Glückwunsch an dieser Stelle!). Nun sollten sie den würdigen Schlusspunkt unter das Festival setzen und fast alle blieben da! Zunächst wurde behauptet, die Band wäre größenwahnsinnig geworden und hätte ein generelles Fotografierverbot verhängt, dem war aber natürlich nicht so, wenngleich die Kameramänner nur für einen Song ihre Chance erhalten sollten. Zunächst waren Peter Heppner und Markus Reinhardt auf sich alleingestellt, mit Keyboard und Mikro. Wobei das nicht ganz stimmt, denn der gute Peter hatte sich seine Texte mitgebracht, die schön ordentlich Lied für Lied weitergeblättert wurden. Dennoch konnte er einige Patzer nicht verhindern, vor allem bei älteren Songs. Für WOLFSHEIM-Fans ist dies allerdings auch keine neue Tatsache, wunderbare Stimme und etwas löchriges Gedächtnis… Man spielte einen ganzen Haufen neuer Songs wie „Underneath the Veil“, “Wundervoll”, “Care for you” oder “I won’t believe“. Teilweise hätte man sich da ein wenig mehr Pep gewünscht, allerdings wurde der harte Kern später dann auch von Gitarre und Drums unterstützt. Mittlerweile hatten sich sowohl DE/VISION wie auch Ronan Harris mit Anhang in unserer Nähe auf der Tribüne breit gemacht. Während Steffen ein wenig mit einer namenlosen Schönheit herumturtelte, verging sich Ronan an einem standesgemäßen Hamburger! Beide aber neckten die Kollegen ein ums andere mal mit lauten Zwischenrufen („Udo“!!!). Die hatten mittlerweile mit „Künstliche Welten“ und dem Klassiker „The Sparrows and the Nightingales” zwei wunderbare Songs ausgepackt, die zum Mitsingen einluden. Heppner in blauer Jeans und dunklem Jackett verblieb recht statisch und der Musik angemessen, großartige Anfeuerungen an das Publikum unterließ er. Das hörte während der Vorträge gebannt zu und brach dann jeweils in lauten Jubel aus, typisch für WOLFSHEIM-Konzerte. Schließlich beendete man mit 2 mal 2 Zugaben (darunter das göttliche „Kein zurück“, „Find you’re gone“ und das uralte „Annie“) den Abend, das Konzert, das Festival…

Auf der Rückfahrt wurde uns dann Antwerpen zum Verhängnis und die miserable belgische Beschilderung. Dafür gab es mächtig Zeit zum Reflektieren. Das Konzert war hervorragend organisiert, leicht negativ wären hier höchstens die äußerst hohe Bühne und die geringe Anzahl an Fress-Ständen zu nennen, die Musiker habe ich selten so locker und solidarisiert gesehen und die Location konnte ebenfalls überzeugen. Von den Bands enttäuschte keine, nur hatte jeder einen anderen Favoriten (vor allem ICON OF COIL und DAF wurden hier genannt), je nach Geschmack, was für die Abwechslung im Billing spricht. ABER: Es waren eindeutig zu wenig Zuschauer da für den betriebenen Aufwand und die sicher immens hohen Kosten, die Gründe sind mir nicht ganz klar. Möglicherweise ist das Elektro-Potenzial in Belgien einfach zu gering? Ich würde mich jedenfalls sehr freuen, wenn es im nächsten Jahr eine Neuauflage geben sollte. Das Motto für 2004 war: Es gab eine „Einladung“ zu einem wunderbaren Fest, aber zu wenige nahmen sie an!

FOTOS BY JÖRG RAMBOW

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