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TOKIO HOTEL – BLOG 27

Ort: Bielefeld - Seidenstickerhalle

Datum: 13.02.2006

Terror Hotel im Tokioverlag… oder so ähnlich. Wer uns kennt, weiß, dass wir jedes Eisen anfassen, so heiß es auch sein mag. Und die Pubertierenden von TOKIO HOTEL sind ja momentan das Heißeste überhaupt in gewissen Kreisen, wenngleich Lästerzungen behaupten, dass der Zenith schon überschritten ist. Ob es an Bills neuer Frisur liegt? Jedenfalls waren wir überaus gespannt, wie sich die ostdeutsche Boyband live schlägt und wie der Hype-Faktor in Ostwestfalen ausfällt. Nur kurz war geplant, TH im Ringlokschuppen auftreten zu lassen, dessen Kapazität aber schon nach einer Woche nicht mehr ausreichte, und so war man in die wesentlich größere Seidenstickerhalle ausgewichen, die immerhin 7000 ausverkaufte Nasen zählt. Früh mussten wir uns an diesem Montag auf die Socken machen, denn das Konzert war auf bereits 18 30 Uhr terminiert, ein mehr als leiser Hinweis auf das zu erwartende Alter der Kundschaft, man will ja nicht mit den Jugendschutzbestimmungen in Konflikt geraten. Zudem waren wir gespannt, welche Dramen sich vorher an der Halle abspielen würden, viele kleine Telenovelas mit ungewissem Ausgang… Einen Tag vorher hatten wir noch die Nachricht vernommen, dass sich mit BLOG 27 ein Support Act präsentieren würde, der in seiner Heimat Polen ebenfalls bereits Superstar-Status besitzt. BLOG wie viel? Recherchen ergaben, dass es sich um 2 13-jährige Mädels handelt (Tola und Alicia), deren aktuelle Single den vielsagenden Namen „Uh la la la“ trägt. Eine Coverversion eines bereits unbedeutenden Dance Hits einer Dame namens ALEXIA. Da stand uns ja ein echtes Doppelabenteuer bevor! Schon bezeichnend, dass man sich keine ordentliche Gitarrenband mit an Bord geholt hat, die Verantwortlichen mithin also den Boygroup- und nicht den Rockfaktor in den Vordergrund stellen. Genug des Vorgeplänkels, um 17 15 Uhr erreichten wir den Tatort…

Und der war natürlich übersät von präpubertierenden Mädchen, teils auf sich allein gestellt, teils mit Elternanhang. In den Foren stand zu lesen, dass einige schon am Vorabend anreisen wollten, andere wiederum von den letzten Unterrichtsstunden am Montag freigestellt wurden. PISA – Wir danken dir… Wenigstens gab es kein allzu großes Parkplatzproblem aufgrund des Altersdurchschnitts zwischen 8 und 14, zudem konnten wir dezent den „VIP-Eingang“ nutzen. Mein allererstes Konzert in der Seidenstickerhalle, in der am darauffolgenden Tag UDO JÜRGENS andere weibliche Generationen becircen wollte. Der Innenraum war durch mehrere Wellenbrecher segmentiert, wobei die ersten 2 schon vollauf besetzt schienen. Dazu fühlten sich auch die Sitzplatzränge in rasender Geschwindigkeit. Am Ende hatte man das Gefühl, dass vielleicht noch ein paar Mädels mehr hinein gepasst hätten, was aber vielleicht daran lag, dass die Oberränge von vielen den Vorzug gegenüber dem hinteren Innenraum erhielten. Die Wartezeit bis zum Support konnte man sich mit allerlei Merchandising vertreiben, oder man reihte sich auch einfach nur in die endlose Schlange vor der Damentoilette ein. Auf jedem Sitzplatz hatte man Flyer von BLOG 27 positioniert, ebenso befand sich bereits ein entsprechendes Backdrop auf der Bühne. Und auch wenn bereits jetzt in ohrenbetäubender Lautstärke „TOKIO HOTEL“ skandiert wurde, kamen erst man um ca 18 40 die beiden jungen Polinnen plus Background Tänzerinnen nach oben.

Alle Befürchtungen wurden wahr, selten so etwas Schlechtes gesehen. Abgesehen davon, dass das kreischwillige Publikum an diesem Abend auch kopulierenden Eichhörnchen zugejubelt hätte, hörte sich der „Pseudo-Ghetto-Dance-Hip Hop-Mix“ von Tola und Alicia (beide am 27.11.1992 geboren, daher die Zahl im Bandnamen) einfach nur belanglos grausig an. Die armen Mädchen werden wohl am allerwenigsten dafür haftbar gemacht werden können, ich hoffe nur, sie werden vom Arschwackeln und den bekloppten Texten nicht irgendwann Alpträume bekommen. Neben „Hey Boy (get your ass up)“ präsentierten sich auch ihre erste VÖ in Deutschland, das in der Einleitung bereits erwähnte „Uh la la la“. Zum Glück war dieser 5te „Song“ auch ihr Letzter, selbst gleichaltrige Jugendliche um mich herum fingen sich schon an zu langweilen. Ob man von BLOG 27 je wieder hören wird?

Das dürfte schon Sekunden später den meisten Anwesenden am Arsch vorbei gegangen sein, denn nun begann das große Warten auf die großen Lieblinge. Jede auch noch so kleine Bewegung auf der Bühne wurde mit schrillen Schreien begleitet, dass selbst MANOWAR um ihren Ruf als lauteste Band hätten fürchten müssen. Leute ohne Gehörschutz wurden nun mitleidig angeschaut, denn der Geräuschpegel sollte sich bis zum Konzert-Ende nicht mehr legen. So gegen 19 30 wurde es endlich dunkel im Saal, nachdem zuvor mit NIRVANA und SOUNDGARDEN einige nette musikalische Highlights der Überbrückung dienten. Da waren sie also: Bill, Tom, Gustav und Georg, allesamt zunächst im Hintergrund erhöht musizierend. Schnell wurde auch klar, dass hier wirklich ein Live-Konzert stattfinden würde, was schon mal Pluspunkte gab. Der Sound war leider im Vergleich zu den Teenies etwas dumpf und leise, das mag aber auch an meiner Position gelegen haben. Erstmals wurden auch die 4 Leinwände genutzt, welche jeweils einem Musikanten folgten, leider nur in schwarz-weiß. Folgendes spielte sich nun in der Seidenstickerhalle ab: Eltern versuchten mit billigsten Kameras ihren Kindern eine digitale Freude zu machen, wenn sie nicht die Finger im Ohr hatten, Mädchen mit Puschel-Leuchten drohten den Verfasser zu malträtieren, und vorne wurde eine um die andere entkräftet in den Graben gezogen. Parallel dazu wurde natürlich fast alles mitgesungen, die Textsicherheit war doch enorm.

Mit „Jung und nicht mehr jugendfrei“ vom „Schrei“-Album stiegen die „Tokios“ in ihr Set ein, bevor es mit „Beichte“ einen Single-Bonussong auf die Ohren gab. Nach „Ich bin nich’ ich“ folgte dann überraschenderweise schon der besagte „Schrei“, und drei mal kann jeder raten, was dabei im Auditorium los war. Als besonderen Gag holte sich Bill ein Mädel auf die Bühne („Vanessa“), welche feuchten Blickes mit ihm trällern durfte. Überhaupt gab sich der junge Beau mit der neuen Pierre Brice-Gedächtnisfrisur locker und leicht auf der Bühne. Die Ansagen zeugten von Selbstbewusstsein, und auch das Gepose wirkte stilsicher. Musikalisch spielen TOKIO HOTEL in keiner anderen Liga als beispielsweise SILBERMOND, was qualitativ jeder für sich mit Inhalt füllen muss. Ein netter Rock-Abend war es allemal, wenngleich natürlich auch ein paar sanftere Songs ertönten, wie etwa „Rette mich“, was wohl die nächste Single werden soll. Und ein 2ter Longplayer soll ja 2006 auch noch erscheinen, mal sehen wie lange dieses „Phänomen“ noch anhält. Der „Monsun“ wurde ebenfalls schon im Hauptteil dargeboten, was mich ein wenig verwunderte, doch mittlerweile verfügt man bereits über ein ordentliches Arsenal an Songs, wie etwa „Leb’ die Sekunde“, von Bill im zarten Alter von 9 Jahren geschrieben (!?). Ob das Spiel den Innenraum gegen die Ränge anschreien zu lassen, so eine gute Idee war, müssen die Beteiligten morgen den Hals-Nasen-Ohrenarzt fragen, jedenfalls ging dann auch dieser Abend langsam seinem Ende entgegen. „Freunde bleiben“ (REVOLVERHELD lassen grüßen) und „Der letzte Tag“ beendeten den Hauptteil.

Die natürlich herbeigesehnte Zugabe wurde dann mit der neuen Komposition „Frei im freien Fall“ eingeleitet, bevor „Unendlichkeit“ den ersten kleinen Zugabenblock schon wieder beendete. Eine weiter „Monsun“-Variante beschloss den Abend dann noch vor 21 Uhr, so dass die in Scharen draußen wartenden Erziehungsberechtigten nicht allzu lange bibbern mussten. Fazit: Eine gruselige Vorband und ein ordentlich rockender Headliner, der vielleicht nicht die besten Songs hat, und vielleicht auch nicht die allergrößte Bühnenpräsenz, aber immerhin der Fangemeinschaft für eine gewisse Zeit des Lebens Zusammenhalt und Lebenssinn gibt. Da gibt es Schlimmeres auf dieser Welt. Also noch schnell Mama und Papa um Geld für TH-Devotionalien erleichtern und ab ins Bett, die Schulrealität am nächsten Morgen wartet schon. Und bitte beim nächsten Mal stilecht in der Ostwestfalenhalle Kaunitz musizieren…

Setlist TOKIO HOTEL
Jung und nicht mehr jugendfrei
Beichte
Ich bin nich’ ich
Schrei
Leb’ die Sekunde
Schwarz
Lass uns hier raus
Gegen meinen Willen
Monsun
Thema Nr. 1
Wenn nichts mehr geht
Rette mich
Freunde bleiben
Der letzte Tag

Frei im freien Fall
Unendlichkeit

Monsun

Copyright Fotos: Jörg Rambow

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