Ort: Münster - Am Hawerkamp
Datum: 09.06.2012
Großes stand den Münsteranern am zweiten Juniwochenende bevor: REFUSED kamen, um ihre Reunion zu feiern. SLAYER kamen… Punkt. Wie ein ehrfürchtig erstarrter Schlachtruf prangerte die selige Top-Bestätigung, die infolge einer Terminverlegung wiederum PENNYWISE als Opfer forderte, auf den Plakaten an der Bahnunterführung Richtung Hafen, nur um eines Samstags tausende von Stimmbändern am Hawerkamp in Schwingung zu versetzen. Kostproben hiervon bot die euphorisiert aus Bus und Bahn strömende, aus ihren Autos lugende oder auf der Leeze trampelnde (letzteres natürlich für Münster charakteristisch) Menge bereits zu früher Stunde, kurz vor dem für 10 Uhr festgelegten Beginn der Hauptveranstaltung. Ein strammes Programm gerade für diejenigen, die sich tags zuvor schon beim starken Auftakt von HATEBREED im Skater’s Palace aufwärmten, doch das gewohntermaßen für alle vertretenen musikalischen Lager ansprechend gemischte Billing machte das zeitige Aufstehen schon in seinen ersten Zügen absolut lohnend. Bedauerlicherweise verwehrte mir der parallel zur regulären Schlange entstandene Stau vor dem Info-Häuschen den zeitigen Einlass, sodass ich gerade „pünktlich“ zum letzten Song der britischen Hardcore-Durchstarter YOUR DEMISE den ersten Schritt auf das hart betonierte Festivalgelände setzte. Folglich Begann das siebte Vainstream für mich mit:
ADEPT
Kaum wiederzuerkennen war Schreihals Robert Ljung, der seine Rapunzel-eske Haarpracht gegen eine deutlich kürzere Variante getauscht hatte. Veränderungen bei den spätestens seit der Tour mit A DAY TO REMEMBER gern gesehenen Schweden gab es tatsächlich aber nur im Bereich des Optischen. Optimistisch wetterte ein Querschnitt durch beide Alben gegen die Wolken über Münster, rauschte über das vor die „Desperados Stage“ gepilgerte Volk hinweg, auf dass es sich einen ersten Anflug von Wärme ertanzen würde. Von axtlangem Gebrette, viel Melodie und erfolgreichen Singalongs geprägte Stücke wie „The lost boys“ oder „Shark! Shark! Shark!“führten im Zentrum des Geschehens das Ziel klar vor Augen, während weiter hinten der Wind für einige Verzerrungen sorgte. Der erneut freudige Empfang unter freiem Himmel (letztes Jahr spielten sie noch auf der Aftershow-Party) machte natürlich auch die Skandinavier absolut happy, verleitete Ljung zu Danksagungen und lebensphilosophischen Tipps. Ergänzend bot „The ivory tower“ einen achtbaren Schluss der Adepten, die sich mit derartigen Vorstellungen bis auf weiteres für die gängigen europäischen Festivals empfehlen.
EVERGREEN TERRACE
Nur wenige Meter weiter links erwartete das angeheizte Publikum auf der „Green Hell Stage“ der nächste Programmpunkt des Hardcore-Startpakets, dieses Mal mit einem Beitrag aus den Staaten. Nicht absolut oldschool, aber immerhin auch schon seit Ende der 90er dabei sind EVERGREEN TERRACE, die ich allein schon aufgrund dieser Tatsache ein wenig später erwartet hatte. Doch auch die früh angesetzten 30 Minuten erwiesen sich als ein geeignetes Zeitfenster für das melodisch-harte Set der in Florida beheimateten und von den „Simpsons“ inspirierten Fünferkette, die sich in der günstigen Lage befanden eine Reihe von Aktionskompatiblen Brechern bemühen zu können. Neben Bandeigenen Knüllern wie „New Friend Request“ provozierte besonders die Coverversion des TEARS FOR FEARS-Klassikers „Mad World“ großes Freudentaumeln. Angestachelt durch den rege im Graben agierenden Shouter Andrew Carey, avancierten Crowdsurfen und Pitrotation alsbald zum Standard, und die punkig-starken Chorusse des Gitarristen Craig Chaney rundeten astrein ab. Ihm galt auch der Titel des abschließenden „Chaney can’t quite riff like Helmet’s Page Hamilton“, doch diese Tatsache konnte ihm kaum einer übel nehmen. Denn was EVERGREEN TERRACE hier insgesamt geboten hatten, war nun wirklich mehr als ausreichend.
EMMURE
Hardcore, die Vierte: weitaus derberes als das bisherige Aufgebot hatte man von den New Fairfielder Bollerhosen zu erwarten. Präsentieren konnten sich EMMURE in unserer Kante bislang recht ordentlich. Ordentlich und häufig, schon alleine zwei Mal in Folge im Zuge der Never Say Die! Tour. Dort und schließlich auch beim Vainstream ging man den Anwesenden alles andere als behutsam an die Gurgel, „Solar Flare Homicide“ machte die Action im Armgefluteten Schmelztiegel auf Anhieb mal so absolut klar. Zwischen bouncenden und rudernden Bollo-Brüdern konnte es den Szene-Schwestern sicher zeitweise etwas mulmig werden, doch auch die weibliche Fraktion zeigte sich im Tanzwahn keineswegs immer nur zimperlich. Die vornehmlich neueren Stücke, vom ganz frischen „Slave to the game“ und seinem Vorgänger „Speaker of the dead“, formten geschlechterunabhängig ein reibungsloses Spektakel, vor und auf der Bühne. Letzteres machte mittlerweile einen recht routinierten Eindruck, auch Hassknubbel Frank Palmerie natürlich wieder mit seiner in Stein gemeißelten Psycho-Aggro-Mimik. Die Menge spiegelte es ihm, während sie in einer kollektiven Brutalität die Zielgenauen Hooks in die frische Luft spuckte. Die liefen bei „Protoman“, „Drug Dealer Friend“ und ähnlichen Verschnitten schon wie geschmiert, sprengten im finalen „10 signs you should leave“ vom achtbaren Debüt aber noch einmal alle Grenzen völlig aus dem Sichtfeld. Das ist nach dem dritten, vierten Mal lange nicht mehr so spektakulär, aber unverändert effektiv.
Anschließend bot sich die erste Verschnaufpause, doch für die absolut Rastlosen hatten die Veranstalter selbst zu diesem Zeitpunkt eine kleine Aktion parat: auf der kleinen „Converse Stage“ fand ein unter anderem von DONOTS-Ingo moderierter Shred-Contest statt, für den sich im Vorfeld eine kleine Auswahl an frickelnder Bewerber qualifizierte. Jeder der insgesamt sechs Teilnehmer bekam genau eine Minute Zeit, um seine Saitenkünste live und mit Bandbegleitung vor Publikum zu präsentieren. Im Laufe zweier Vorrunden wurden mittels Lautstärkemesser zwei Finalisten ermittelt, aus denen schließlich ein glücklicher Klampfen-Gewinner hervorgehen sollte, der zudem auch noch zu späterer Stunde einen Song zusammen mit CALIBAN performen durfte. Dazu weiter unten mehr.
GOJIRA
Ganz ohne Contest hatten es die französischen Techniker GOJIRA zum ersten Mal an den Münsteraner Hafen geschafft. Ihr bisheriges, mittlerweile fünf Alben umspannendes Schaffen lässt, ehrlichkeitshalber gesagt, aber auch gar keinen Zweifel an ihrer Kompetenz, nicht auf inspirativer und schon gar nicht auf instrumentaler Ebene. Beides zusammenführend präsentierte der Vierer um die Brüder Joe (Gesang und Klampfe, ehemals auch Bassist der CAVALERA CONSPIRACY) und Mario Duplantier (Drums) zu Beginn das schöne Tapping des eröffnenden „Oroborus“ vom 2008er „The way of all flesh“, mit wehenden Mähnen im anhaltenden Wind. Gerade der metallenen Fraktion sollte es da trotz der frischen Böen warm ums Herz geworden sein, die Hardcorer hingegen konnten die reguläre Pause noch verlängern. Stark war der Sound und formte den progressiv MESHUGGAH-esken Death Metal zur fortwährenden Klangwand, in die sich der lobend zu erwähnende Gesang (brachial UND klar) wunderbar einfügte. So füllte sich der einst gewählte Bandname, den man dem Originaltitel des absoluten Monster-Klassikers „Godzilla“ entnahm, mit umfassender Bedeutung, ohne nur annähernd mit dem trashigen Ambiente dieses cineastischen „Meilensteins“ in Verbindung zu treten. Alles andere als destruktiv, sondern eher sympathisch offenbarte sich Fronter Joe, bekennender Naturschützer, stellvertretend für die gesamte Truppe, bedankte sich direkt und in Form einer Kostprobe des kommenden Albums „L’enfant sauvage“, aus dem es unter anderem den Titeltrack zu hören gab. Aus der Summe dieser Eindrücke bleibt die Empfehlung dieses wie auch die vergangenen Scheiben, GOJIRA insgesamt auszuchecken. Starkes Ding!
SMOKE BLOW
Zurück auf dem rechten Flügel der Doppelbühnen-Schwinge hörte man unter anderem einen tätowierten Vollbart mit „Scheiß Kapitalismus!“ ein linkes Schlagwort sondergleichen skandieren. Jack Letten heißt der Mann und seine Aussage bezog sich auf REFUSED, deren Reunion man wohl mit höchst skeptischem Auge begutachtete. Er selbst ist mit SMOKE BLOW seit Ende der 90er ohne Pause unterwegs und damit Teil einer sieben Alben starken Bandhistorie, die sich aus dem deutschen Norden heraus entwickelte. ZZ TOP und LYNYRD SKYNYRD covert man schon lange nicht mehr, doch die Einflüsse sind im Hardcore-besetzten Rabiat-Sound durchaus noch zu vernehmen. Dieser feuerte den Bewegungsofen direkt wieder auf die höchste Stufe und brachte gleichzeitig die Laune der Musizierenden in Wallung. Selbst mit Krücke bemühte sich der zweite Vokalist MC Straßenköter, der als zusätzlicher Schreier eine nebensächlichere Rolle einnahm, um eine angemessene Bühnenpräsenz, selten sah ein Auf- und Abhumpeln so aggressiv aus. Bei mittlerweile sonniger werdendem Wetter fühlten sich die „alten Säcke unter Jungspunden“ sichtlich wohl, ließen berechtigterweise aber auch ihre Altersweisheit im Kontakt mit dem Publikum sprechen. Zur Vorsicht beim Alkoholkonsum riet man, es gab schließlich noch einiges zu verpassen. Auch wer zu diesem Zeitpunkt nicht vor der „Desperados Stage“ verweilte, ließ sich nicht nur gut gemeinte Ratschläge und knackige Bollwerke wie „Circle of fear“, sondern auch eine der letzten größeren Shows von SMOKE BLOW entgehen, die zukünftig nicht mehr derart professionell agieren wollen. Und warum? Sie haben absolut keinen Bock auf eine Reunion. Daumen hoch für Gig und Konsequenz!
AUGUST BURNS RED
Nachdem ich befunden hatte, dass sich die entspannten Ska-Klänge der MAD CADDIES mit ein paar warmen Sonnenstrahlen im Nacken hervorragend für eine kleine Verschnaufpause eignen würden, begab ich mich erst wieder mit Beginn der US-Metalcorer AUGUST BURNS RED in Richtung Bühnenrummel. Anzeichen von Mittagsmüdigkeit wurden umgehend invalide, als der Fünfer aus Pennsylvania mit Breakdown-geschwängerten Salven den letzten Kalk aus den strapazierten Knochen blies. Seit dem Durchbruch „Constellations“ erfreut man sich wachsender Beliebtheit, die szeneintern sicherlich auch an die offen praktizierte christliche Gesinnung gekoppelt ist, und Besucherzahlen. Ein Status, den der erneute Vainstream-Auftritt bestätigte. Doch nicht nur das mit einer brav und auf freiwilliger Basis – so forderte es Shouter Jake Luhrs – ausgeführten Wall of Death kredenzte „White washed“ und „Mariana’s trench“ vom besagten Langspieler erfreuten das Münsteraner Publikum, auch das aktuelle „Leveler“ wurde mit dem eröffnenden „Empire“ und „Internal cannon“ (dolles Salsa-Intermezzo zum Mitklatschen!) bedient, während es von „Messengers“ die Abrissbirne „The truth of a liar“ zu hören gab. Obwohl sich mit diesem Song-Arsenal und der daran gebundenen souveränen, absolut sauber gezockten Darbietung (der anfangs unverständliche Gesangs-Sound besserte sich fortwährend) die Show beinahe als Selbstläufer gestaltete, drückte der angespornte Luhrs ordentlich nach. Mit einer Crowdsurf-Aktion implizierte er eine Art Arbeitsbeschaffungsmaßnahme für die wachsamen Securitys, die er in einem Atemzug aber auch (zurecht) lobte, hielt mit ausschweifenden Ansagen und Lobpreisungen im Zaum und verbuchte die gesparte Zeit stattdessen auf dem eigenen Live-Konto. So reichte es zum Schluss noch dicke, um die Restenergie gänzlich in den Überhit „Composure“ zu stecken –mit vollem Erfolg natürlich. Die Erwartungen waren nach den letzten Alben meinerseits nicht gerade niedrig, ihre Erfüllung innerhalb von kaum mehr als einer halben Stunde frohlockte mich daher umso mehr. Props für ABR!
ENTER SHIKARI
Weniger zuversichtlich blickte ich den einst mit ihrem Elektro-Hardcore eine Pionierstellung einnehmenden ENTER SHIKARI entgegen. Zu wenig konnte ich schon dem zweiten Album abgewinnen, und mit dem neuesten Streich „A flash flood of colour“ war es dann endgültig vorbei. Doch die Genregrenzen stehen momentan ja so sperrangelweit offen, CASPER macht den intellektuellen Rap Moshsalon-fähig und die Arme werden auch zu Dubstep gerudert. Letzteres spielte dann besonders den sich nach und nach auf der Bühne einfindenden Briten in die Karten, ließ ihre neuen Ideen ein breites Publikum erreichen. Und so tickte die Menge zum mächtig wobbelnden Bass des Openers „Meltdown“ schon völlig aus, dass jegliche vorhandene Instrumentierung beinahe überflüssig wurde und erst beim ewigen Klassiker „Sorry, you’re not a winner“ zum Zuge kam. Mit kleinen Abänderungen, Interludes und noch mehr Elektronik stimmte man solch ältere Stücke, zu denen unter anderem noch „Mothership“ und „Juggernauts“ zählten, auf eine interaktive Live-Präsentation ein. Sänger Rou Reynoulds war dementsprechend häufig im Graben und bei den Leuten zu finden, klimperte seines Amtes als Synthie-Meister nachkommend dann und wann auch auf den Tasten rum. Dass er, wie ich finde, im Laufe der Zeit stimmlich nachgelassen hatte, kaschierte sein dominierender Sprechgesang, der sie schon seit Album Nummer zwei vom anfänglich härteren Sound der „Take to the skies“-Phase entrückt hatte. Und, wie gesagt, über allem anderen stand sowieso die radikale Schocktherapie der absoluten Tieftöne. Unbestritten ist zu konstatieren, dass ENTER SHIKARI mit dieser neuen Fahrtrichtung ein richtig unterhaltsames Bühnenprogramm darbieten konnten. Doch an den Soundwandel habe zumindest ich mich noch erst zu gewöhnen.
LAGWAGON
Freunde handfesterer Musik zogen, falls sie nicht schon ohnehin seit geraumer Zeit dort verweilten, umgehend wieder zur anderen Stage, um Zeugen einer der diesjährigen Punk-Klassiker zu werden. Die in den 90ern musikalisch Sozialisierten hatten an dieser Stelle im Angesichte LAGWAGONs sicherlich nicht nur ein paar Jugenderinnerungen im Kopf schweben, hier bot sich gleichzeitig die Möglichkeit das für viele sicher bittere Fehlen von PENNYWISE konstruktiv zu verarbeiten. Und dahingehend leisteten die mittlerweile nun auch nicht mehr von Jugend strotzenden Herren ganze Arbeit. Ausgelassenen Blödeleien hatten mindestens so viel Relevanz wie die aufgeführten bandhistorischen Wegpunkte selbst. Zumindest gestand Sänger und führender Entertainer Joey Cape, der zwischen nüchtern und flapsig seinen wunderbar ankommenden Humor ausbalancierte, ihnen diese zu, wenn er sich für ein paar Liegestütze auf den Boden warf, mit „Wir sehen für unser Alter verdammt gut aus“ ein (un-) realistisches Selbstbild entwarf oder den Gitarristen zu seiner Rechten liebevoll als „fat bitch“ bezeichnete. Charakteristisch war auch die original amerikanische „Munster“-Aussprache, mit der er versuchte, direkten Kontakt mit den schmunzelnden Gesichtern vor ihm aufzunehmen. „Munster, wo ist eure Halfpipe“, fragte er berechtigterweise als alteingesessener Skatepunk-Verfechter in einer für die Skate-Geschichte Deutschlands recht wichtigen Stadt. Oder: „Munster, mögt ihr Kaffe?“, spielteer auf das kommende „Coffee & Cigarettes“ an, das kurzerhand mal in „Coffee and Munster“ umgedichtet wurde. Dazu noch eine Hand voll weiterer Gassenhauer, das schöne „May 16“ oder „Alien 8“ beispielsweise, und die einladende Vorstellung der Altherren aus Kalifornien konnte sich endgültig und ohne Frage als abgerundet bezeichnen.
MASTODON
Nach GOJIRA stellten MASTODON den zweiten Teil des progressiv metallischen Doppelpacks, berechtigterweise weiter oben auf der Running Order. Der begeistert von Fans und Kritikern verfolgte Aufstieg der Grammy-nominierten Ostküsten-Amis hatte mich fast schon hoffen lassen, ein den teils doch recht langen Tracks gerecht werdendes Set zu Ohren zu bekommen, doch dem war nicht so. Mehr als vierzig Minuten ließ der straffe Zeitplan auch innerhalb des oberen Mittelfelds kaum zu, so dass dem seit dem Gründungsjahr 2000 so gut wie unveränderten Vierer nichts anderes übrig blieb, als die Vorgaben effektiv zu nutzen. „Hello Münster, we are MASTODON“ passte als Ansage in seiner mächtigen Simplizität zum allumfassenden Querschnitt durch den fünfköpfigen Albenzyklus, von denen nur das jüngste „The Hunter“ nicht mehr in den thematischen Rahmen passte, mit „Black Tongue“ aber den Auftakt feierte. Rege Aktion on stage war von den bärtigen Kanten nicht zu erwarten, war auch nicht nötig, denn kraftvoll genug dröhnte der arschtretende Sound schon alleine. Die Banger waren hier nun klar in der Überzahl und konnten sich für die nahenden Thrash-Götter schon einmal die Rübe warmdrehen. Immerhin waren sie schon mit SLAYER auf Tour, hätten aber mittlerweile klar das Potenzial gehabt, selbst einen Headliner-Status einzunehmen. Doch davon kann es eben nur einen geben, und zu viel metallische Macht in Spitzenpositionen würde beim Vainstream dann doch den Rahmen sprengen. Eigentlich schade, doch MASTODON präsentierten sich trotz allem in Bestform und setzten zu meiner Freude mit „Blood and thunder“ den überstarken Schlusspunkt.
CALIBAN
Der letzte Programmpunkt der Corer-Front bot sich kurz darauf in Form der keiner weiteren Vorstellungen bedürfenden CALIBAN, die hier ein Quasi-Heimspiel zu feiern hatten. Das kürzlich erschienene achte Studioalbum „I am nemesis“ hatte nach einer intensiven Promotion-Phase natürlich absoluten Vorrang, so eröffnete nach dem Platten-Intro „Dein R3.ich“, die letzten Reserven der hauptsächlich jüngeren Zuschauer für den letzten Durchmarsch zu mobilisieren. Auch das etwas ältere „It’s our burden to bleed“ krachte direkt in die Mitte, ebenso „We are the many“. Hier holte man sich zunächst Cisko Miranda, der mit seiner eigenen Band EYES SET TO KILL später noch auf der Aftershow-Party zu sehen, und anschließend NEAERA-Fronter Benny auf die Bühne, letzteren wahrscheinlich direkt vom eigenen Sofa herunter. Leicht unglücklich endete sein Auftritt letztlich in der Menge, der ungeplante „Plan B“, natürlich folgenlos. Eine weitere Kollaboration entstand hinsichtlich des unterstützenden Interpreten ganz spontan, am Festivaltag selber, um genau zu sein. Ticketinhaber Tim, der den zuvor schon erwähnten „Show me your shred“-Contest für sich entscheiden konnte, durfte sich bei „24 years“ die dritte Klampfe umschnallen, Gas geben und sich selbstverständlich freuen ohne Ende. Nette Aktion könnte man sicherlich auch das Treiben im Pit betiteln, für das die Shows der deutschen Schwergewichte gerade in ihrer frühen Phase ja bekannt waren. Natürlich wollte sich auch Krachlunge Andi Dörner, dessen cleaner Counterpart Denis Schmidt sich entgegen früherer Eindrücke gefestigt präsentierte, den genugtuenden Anblick von Circle Pits und Wall of Deaths keinesfalls entgehen lassen. Das Mitsingpotenzial unterzog man mit dem RAMMSTEIN-Cover „Sonne“ kurz vor Ende noch einmal einer strengen Untersuchung, bevor die aktuelle Auskoppelung „Memorial“ ein pumpendes Breakdown-Finale bot. Ein paar alte Songs hätte ich mir noch gewünscht, aber auf Vorstellungsmission präsentierten sich CALIBAN souverän.
K.I.Z.
Nach der wahrscheinlich vom CASPER-Auftritt erzwungenen Abstinenz des letzten Jahres hatten sich K.I.Z. wieder das Amt des Rap-Acts zurück ergattert und sind gleich mal ein paar Plätze weiter nach oben geklettert. Das noch aktuelle Stück „Urlaub fürs Gehirn“ hatte bereits ein gutes Jahr Laufzeit hinter sich, so dass getrost mit der „Hahnenkampf“-Single „Geld essen“ begonnen werden konnte. Mit weißen Masken und Rauchgewehren bewaffnet beförderte das rappende Dreigestirn die Feiernden direkt ins nächste Stimmungshoch, das mit Klassikern wie „Riesendglied“ und „Hurensohn“ kaum abebben zu drohte. Zwischen dem vielen Gealber und Gewitzel, der Ironie des Gesamtwerks entsprechend, machte man doch noch auf die wohl schwerwiegendste Frage des Tages aufmerksam: „SLAYER oder Fußball?“ Das Auftaktspiel der Deutschen bei der Europameisterschaft stand nämlich zur exakt selben Zeit an (Public Viewing war vor der Sputnikhalle vorbereitet). Doch, mal ehrlich, selbst der schwerst von Männlichkeitskomplexen geplagte Attendant muss bei solch einem „Dilemma“ nicht zweimal überlegen… in dieser Form bespaßten Nico, Tarek, Maxim und DJ Craft, der tatsächlich auch einmal zu Wort kam, ihre Hörerschaft eine volle dreiviertel Stunde lang, boten angemessene Unterhaltung. Doch das Konzept K.I.Z. nutzt sich mit der Zeit ab, nach mehrmaligem Genuss einer Live-Show ist das satirisch anmutende Rapmassaker bei weitem nicht mehr so interessant. So hörte ich dann auch nur aus der Ferne die Vorstellung „sanft“ mit „Neuruppin“ ausklingen, wissend, die Jungs schon einmal besser erlebt zu haben.
BROILERS
Ebenfalls das letzte Mal 2010 anwesend waren die BROILERS aus Düsseldorf, die das lokale Aufgebot an Bands um eine weitere verstärkten. Anders als etwa LAGWAGON entrückte die vierköpfige Punk-Gruppe ihren Stil immer mehr von ihren Wurzeln, stärkten mit der Zeit Einflüsse aus den Bereichen Rockabilly und Reggae. Damit mögen sie sicherlich einige basistreue Anhänger der ersten Tage vergrault haben, konnten aber spätestens mit dem äußerst erfolgreichen „Santa Muerte“ eine mindestens doppelt so riesige Schar Neu-Fans aus der breiten Masse gewinnen. Dass nach der reichlich besuchten Promotion-Tour die diesjährige Saison beim Vainstream beginnen sollte, könnte man als Ehre bezeichnen, schien aber auch die Herren und die Dame am Bass höchst zu erfreuen. Charme und Sympathie umgab dabei vor allem Sänger Sammy Amara, der seine ans Publikum gerichteten Worte wohl wählte, Leute und Kollegen in das gesamte Programm einzubinden wusste. Während man derzeit noch aktuelle Stücke wie „Tanzt du noch einmal mit mir?“ und „Harter Weg“ zum Besten gab, wurde man unter anderem von Piano und Banjo begleitet, stieß mit „In 80 Tagen um die Welt“ oder „Paul der Hooligan“ (wo genau der passende Bengalo trotz eindeutigen Verhaltensregeln herkam, bleibt ungeklärt) aber auch zum eigenen Wurzelwerk vor. Zur tanzintensiven Rock-Schiene gab das balladeske „Wie weit wir gehen“ eine stark mitgesungene Alternative, die sich auch beim abschließenden „Meine Sache“ uneingeschränkt bot. Das ist schon ziemlich professionell, was die BROILERS hier ablieferten, die Resonanz und der durchgehende Jubel nicht unberechtigt. Ob es noch besser geht, kann ich mangels Vergleich nicht beurteilen. Ich bin mir aber sicher, dass auch die diesjährig auslaufende „Santa Muerte“-Tour einen langen Nachhall hinter sich ziehen wird. Mir hat’s nach anfänglicher Skepsis definitiv gefallen.
REFUSED
Kurz zur Wetterlage: nach zwischenzeitlichen Sonnenphasen verdichtete sich der Himmel wieder mit teils doch arg dunklen Wolken. Der befürchtete Regen blieb zwar aus, nichtsdestotrotz war es kalt und eher ungemütlich. Keine wirklich guten Vorbedingungen, um nach 14 Jahren völliger Abstinenz die erlösende Zusammenkunft zu feiern. Doch REFUSED blieben unbeeindruckt von alldem. Nur oberflächlich zeigten sich Alterungserscheinungen bei den mittlerweile zum Kult avancierten Schweden, innerlich schien das Feuer des einst als revolutionär angedachten Vormarsches in den 90ern unverändert zu lodern. Derwisch Dennis Lyxzén stand nicht eine Sekunde still, jugendlich und ungestüm bretterte er zwischen seinen Bandkollegen, die bis auf Bassist Magnus Flagge die letzte Besetzung vor der Auflösung formierten, hin und her. Dass sich vor ihnen eine große, ähnlich agierende Menge zusammenfinden würde, hätten die Revoluzzer von einst in der Form nicht träumen lassen. Geehrt fühlte sich Lyxzén und nutzte die Gelegenheit, ergänzend zum offiziellen Statement ein wenig Licht ins Dunkel der plötzlichen Wiedervereinigung zu werfen. Endlich wollten sie diejenigen, die dem geschichtsträchtigen, mit gänzlich neuen Ideen liebäugelnden Album „The shape of Punk to come“ erst nach der Auflösung die berechtigte Aufmerksamkeit zugestanden hatten (und das betraf ja so ziemlich alle), in den Live-Genuss dieses kraftvollen, wilden Longplayers kommen zu lassen und der wieder aufgekommenen eigenen Spielfreude in vollem Ausmaß nachzukommen. Entsprechend baute die Setlist maßgeblich auf Dampfhämmern dieser Ära, „Liberation frequency“ und „The Refused Party Program“ als Beispiele, auf, doch den absoluten Klassiker sparte man sich selbstredend für den Schluss der Feierei auf. Wie zu erwarten sprengte „New noise“ alles, Lyxzén flog in die Menge und der vorläufige Abschied endete in einer kollektiven Verneigung. Unglaublich stark, und wir wollen hoffen, dass es nicht nur bei einem kurzfristigen Kavaliersakt der Schweden bleibt… auch wenn REFUSED den Punk vielleicht nicht mehr revolutionieren.
THE GASLIGHT ANTHEM
Aufgewirbelt von dieser Darbietung kam die obligatorische Ruhe vor dem finalen Sturm gerade recht, um den Körper noch ein letztes Mal abzukühlen. „Sabotage“, der BEASTIE-BOY-Dauerbrenner (RIP Adam Yauch!), erklang als Intro der US-amerikanischen Alternative-Punk-Indie-Querschläger THE GASLIGHT ANTHEM, die bereits letztes Jahr unter ähnlichen Umständen und bei gleicher Spielzeit in Münster gastiert hatten. Viele Änderungen gab es daher nicht zu bemerken. „Great expectations“ erklang allerdings dieses Mal als erstes, und auch der dritte Gitarrist war neu. Brian Fallon hatte die eigene Klampfe nur noch bei ausgewählten Stücken in der Hand, um etwas daher zu schrammeln und vielleicht das alte Bandbild wieder in die Köpfe zu rufen. Ob es ihm nun Schwierigkeiten bereitete, zu singen und gleichzeitig die Saiten zu streicheln, oder nicht, die Konzentration, die er damit in seine einzigartige stimmliche Leistung legen konnte, sollte dem Auftritt nur zugutekommen. Ein klassisches „The 59‘ Sound“, das stompende „American Slang“ und selbstverständlich auch das frisch veröffentlichte „45“ bereicherten sich an dem rauen Organ des Folk-affinen Fronters. Der gab gleich eine Empfehlung für die weitere Abendgestaltung mit auf den Weg. Man sollte sich doch später unbedingt die CRO-MAGS auf der Aftershow-Party angucken, denn: „there was everything before the CRO-MAGS, and then everything after the CRO-MAGS“. Doch davor stand noch der Hauptprogrammpunkt des Abends zur Debatte, und natürlich das restliche Set des bekennenden NY-Hardcore-Fans. Die Atmosphäre blieb locker und entspannt. Zum Schluss luden THE GASLIGHT ANTHEM mit „The Backseat“ entsprechend noch einmal zum Schwelgen ein und entließen das vor der Bühne verbliebene Volk in die letzten Züge des langen Tages. Klasse wie gehabt!
SLAYER
Elf Stunden, sechzehn Bands und unzählige müde Knochen später sollten sich die ganzen Anstrengungen dieses Samstags ein letztes Mal (und ganz besonders) lohnen. Das Durchschnittsalter erreichte seinen Höhepunkt, die Uninteressierten zogen wahrscheinlich schon Richtung Sputte oder befanden sich auf dem Heimweg. Doch wer sich jetzt nicht noch einmal aufraffen und den absolut letzten, aber auch längsten Soundcheck verkraften konnte, sollte sich im Nachhinein in Grund und Boden grämen. Was aus den Tiefen der vollgestopften linken Platzhälfte schon lang zuvor hallte, wurde mit dem erlösenden Intro von „South of heaven“ endlich Wirklichkeit. SLAYER! SLAYER!! SLAYER!!! Sie boten sogleich so mächtig, wie ich die Thrash-Urgesteine erwartet hatte. Selbst nicht mehr die Jüngsten, preschten Riff-Wände, Drum-Salven und gediegene Soli noch so tight und umwalzend, als hätten sie im Laufe der Jahre aber rein gar nichts an Energie eingebüßt. Ihre Stärke bewiesen sie zuletzt noch mit „World painted blood“, dessen Titeltrack sich gleich im Anschluss über dem Vainstream aufbäumte. Stageacting hatte ein tattöwierter Hüne wie Kerry King und auch ein Tom Araya, der sich aufgrund gesundheitlicher Beschwerden ohnehin zurückhalten musste, zu keiner Zeit nötig. Hier waltete einzig die zeitlose Musik. Und selbst als weitaus jüngeres Semester, im Vergleich mit den anwesenden SLAYER-Jüngern zumindest, muss man zweifelsohne konstatieren, dass keine einzige Breakdown-Schmiede nur ansatzweise an die Brutalität der Altherren herankommt. Bei den wenigen Ansagen gab sich der routinierte Araya völlig entspannt, wissend, welche Bedeutung dieser Abend für viele der vor der Bühne nach mehr Lechzenden hatte. Knüppeldicke erfüllte man diesen einzigen Wunsch mit abgrasenden Kampfliedern wie „Chemical warfare“ und „Mandatory suicide“, und die einzigartige Stimmung schraubte sich immer weiter nach oben. Lange musste ich daher mit der Entscheidung, vor Ende des Sets nach Hause zu radeln. Doch mit vielen Eindrücken im Kopf, unendlich viel Müdigkeit in den Beinen und dem grandiosen „Seasons in the abyss“ als Begleitmusik trottete ich vom Gelände, das SLAYER in der Gesamtheit laut Plan eine Stunde bespielen sollten… viel zu wenig für ein solches Kaliber. Der Vollständigkeit halber füge ich meinen euphorisierten Worten aber nachträglich noch folgendes hinzu:
Setlist SLAYER
South of Heaven
World painted Blood
War Ensemble
Die by the Sword
Chemical Warfare
Hate Worldwide
Mandatory Suicide
Alter of Sacrifice
Jesus saves
Seasons in the Abyss
Raining Blood
Dead Skin Mask
Angel of Death
Wie gehabt kann ich abschließend wieder fast ausschließlich Positives vom Vainstream berichten. Gut organisiert musikalisch für das alternative Volk ansprechend gemischt, geht ein großes Lob an die Veranstalter, die sich mit ordentlicher Planung und entsprechender Durchführung um korrektes Verhalten, vielfältige Verköstigungsmöglichkeiten zu durchaus annehmbaren Preisen, diverse (Mitmach-) Aktionen am Rande und natürlich weitgehend reibungslose Abläufe bemühte. Die arg kurzen Spielzeiten stören sicherlich weiterhin, doch für ein solches Aufgebot an nur einem einzigen Tag muss man dieses Manko in Kauf nehmen. Immerhin bemüht man sich mit den mittlerweile fest eingeplanten Partys um ein wenig Zerrung im strikten Programm, selbst wenn diese Option für von außerhalb Anreisende im Festivalfieber nicht unbedingt problemlos zu realisieren ist. Doch letztlich ist es das kräftige Programm der Bands, das die Stärke der gesamten Veranstaltung ausmacht. Und dass sich da noch einmal etwas ins Negative verändert, wo man jetzt schon weit über das Münsterland hinaus so fest etabliert ist und sich Top-Bestätigungen wie SLAYER leisten kann, ist mit ruhigem Gewissen auszuschließen. So kann es bleiben, nächstes und die kommenden Jahre nur zu gerne wieder!
Copyright Fotos: Karsten Rzehak
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