Ort: Oerlinghausen - JZO
Datum: 17.02.2005
Der Terrorverlag scheut keine Kosten und Mühen, um euch mit interessanten Berichten zu unterhalten, auch die gefährlichsten Abenteuer werden mit stolzem Herz bestanden. Dabei wollten wir an diesem Abend eigentlich im Münsteraner Jovel aufschlagen, um den Herren Witt und Page beim gemeinsamen Musizieren zuzuschauen. Doch aufgrund mangelnder Absatzzahlen wurde dieser Gig sehr kurzfristig gecancelt, so dass der Weg frei war für ein weit weniger Glamour versprühendes Event. Obwohl diese Behauptung in gewisser Weise auch wieder falsch ist, denn mit BETTINA KÖSTER wollte eine Grand Dame der „richtigen“ NDW Ostwestfalen beehren, im Schlepptau das amerikanisch-deutsche Duo VANISHING. Doch zunächst musste das JZO in Oerlinghausen gefunden werden, von dem ich vorher noch nie gehört hatte. Nach einer kurzen Cruising Tour durch das verschneite Städtchen im Lipperland fand sich der Laden etwas auswärts am Rande der B66. 4 Euro berappt und kurz die Lokalität angetestet, die man liebevoll „Kulturruine“ nennen könnte. Ein verwinkeltes altes Häuschen mit vielen Räumen, darin die alternative jugendliche Szene des Umlands. Ohne Probleme wurden wir „Alte“ integriert, komplizierter wurde es bei unserer Getränkbestellung. Zwar waren laut Karte Wein und Sekt erhältlich, aber derlei Nobelflüssigkeit hatte wohl seit Jahren niemand mehr bestellt. Irgendwann tauchten die Flaschen aus den tiefsten Katakomben auf, irgendwann war die Bedienung der Flaschenöffner (wieder)erlernt und irgendwann gab es sogar halbwegs saubere (Bier)Gläser…
21 Uhr sollte es offiziell losgehen, aber es dauerte dann doch (fast erwartungsgemäß) eine Stunde länger, bevor sich etwas im Mini-Auftrittsraum tat. Vorher war nur eine Heizkanone aktiv, die sich mit aller Macht gegen die im hohen „Saal“ vorhandene Kälte wehrte. Derweil bauten die Jungs der Punkrock Kapelle 2 TAGE OHNE SCHNUPFTABAK gerade ihren Merchandise Stand auf, was so lange überraschend war, bis wir erfuhren, dass sie kurzfristig an diesem Abend auch noch ins Rennen gehen wollten. Dann war es soweit, Bettina wurde gesichtet und mit ihr das „American Duo“. Die gute Dame war ja in den frühen 80ern u.a. bei MALARIA aktiv, von denen der Undergroundhit „Kaltes klares Wasser“ stammt. 1983 war sie dann nach New York gezogen, wo sie fast 20 Jahre lebte, bis ihr – Zitat – „durch den Anschlag 2001 die Heimat genommen wurde.“ So kehrte sie zurück in die mittlerweile sehr veränderte deutsche Hauptstadt. VANISHING hingegen stammen ursprünglich aus San Francisco, zogen aber Ende 2004 ebenfalls nach Berlin und haben dort bereits Wurzeln geschlagen. Von gemeinsamen Compilations kennen sich die Künstler, und so entstand die Idee einer Zusammenarbeit, welche nun mit einer kleineren Tour durch Jugendzentren und größere Lokalitäten ausgelebt wird.
Auf der kleinen Bühne befanden sich neben einem Drumkit links noch Mikrophonständer und 2 Saxophone (normalerweise nicht gerade meine Lieblingsinstrumente). Glücklicherweise sind die beiden Damen körperlich nicht die größten, sonst wären sie permanent an die Decke gestoßen, die gleichzeitig wieder der Unterbau einer kleinen Balustrade darstellte, auf der die jugendlichen „Revoluzzer“ lustwandelten. Eine bizarre Szenerie, zu der auch Jesses enger Matrosenanzug beitrug, während Bettina dezent schwarz gekleidet war. Unter den Zuschauern befand sich sogar ihre Mutter, was durchaus Sinn machte, als wir erfuhren, dass Frau Köster ursprünglich aus Herford stammt. Ein Song wurde dann auch der Mami gewidmet, die nebenbei ein paar Schnappschüsse machte. Da mir die Stücke allesamt vorher nicht bekannt waren (mit Ausnahme der Zugabe), muss ich hier auf Titel verzichten, aber es wurden zunächst 7 Songs aus Bettinas Repertoire vorgetragen, bevor dann VANISHINGs Material zum Zuge kam. Im Grunde ähnlich gehalten klangen die Lieder der Amis etwas songdienlicher und strukturierter. Beats und Elektronik kamen zusammen mit einigen Drum Patterns vom Band, während sich Billy langsam ins Delirium drosch, eine echte Koryphäe am Schlagwerk. Dazu kreischten oder sangen die beiden Damen meist unverständliche Texte, spielten alleine oder zusammen Saxophon oder gaben sich undefinierten Bewegungen hin. Jesse suchte auch hin und wieder den Weg ins Publikum, welches mit rund 50 Menschen doch einigermaßen zahlreich vorhanden war. Darunter ein paar ältere Subjekte neben den jugendlichen Zausels, die meisten werden nicht unbedingt gewusst haben, wenn sie da vor sich hatten. Das hinderte aber nicht daran, sich ordentlich zu bewegen, was auch dem drohenden Kälteschock entgegen wirkte. Billy schien es hingegen richtig heiß zu werden hinter seinem Kit, denn er saß schon bald oben ohne da. VANISHINGs Musik kann man in etwa als Avantgarde Tribal Electro Clash bezeichnen, mit ein paar Spritzern Gothic. So zwischen den DRESDEN DOLLS und COBRA KILLER, wobei nur 3 Tracks vom aktuellen Album „Still Lifes are failing“ (europäische Ausgabe erschienen bei Fatal Recordings) stammten, der Rest war brandneues Material. Nach einer sehr ausgedehnten und unbedingt unterhaltsamen Performance blieb man einfach auf der Bühne stehen, um die Zugabebekundigungen entgegen zu nehmen und wirklich, es sollte noch kommen: Der oben angesprochene Klassiker „Kaltes klares Wasser“. Danach noch ein kurzes Geplänkel mit den Anwesenden, ein Saxophonsolo und das infernalische Trio mischte sich noch für ein paar nette Unterhaltungen unters Volk. Die „2 TAGE OHNE SCHNUPFTABAK“ fanden danach ohne uns statt, obwohl sie sehr hübsche Bandshirts dabei hatten. Wirklich ein bizarrer Abend in jeder Hinsicht, der beweist, dass auch in der Provinz ganz abgefahrene Veranstaltungen ihren Lauf nehmen können…
Copyright Fotos: Jörg Rambow
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