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VIDNA OBMANA – DAVID BRADY – J. FREDE – NID

Ort: Münster - Cuba

Datum: 08.10.2004

Eine lange Nacht, deren Programm sich kurzfristig ändert: KADET KUHNE musste die europäische Tour ihrer Freunde und Kollegen J. FREDE und DAVID BRADY im letzten Moment absagen, dafür wurden kurzfristig zwei Drittel des Schweizer-Deutschen Kollektivs NID eingeladen.

Man sollte es ja kaum glauben, aber in Sachen industrieller Kultur hält das wertkonservative Münster die Fahnenstange verdammt hoch – während die Besucherzahlen im Kulturbunker Mühlheim am Tag vorher und sogar zum Kick-Off in Amsterdam eher dürftig waren, finden sich heute immerhin um die dreißig Leute im Cuba ein. Mit seinen wechselnden Ausstellungen im Foyer hat die Örtlichkeit etwas von einem Museum, was der Atmosphäre aber durchaus keinen Abbruch tut. Im Internet gab es bereits angeregte Diskussionen bezüglich der Konzerte, die sich zum einen um den eigentlichen Headliner VIDNA OBMANA drehten und zum anderen um die Frage, ob die Säle wohl bestuhlt seien.
Waren sie, doch der Reihe nach. Denn angesichts des bereits erwähnten Interesses auf Foren wie krachcom.de musste man bereits um eine besagte Sitzgelegenheit fürchten, so dass wir hoffnungslos zu früh vor Ort aufkreuzen und die zu überbrückende Zeit im Bahnhofskaffee beim Lesen der gerade erworbenen „Auf Abwegen“ verbringen, einem der zuverlässigsten Printinstitutionen in Sachen spannender neuer Elektronik, das Begriffe wie „experimentell“ nicht sofort unter „gut“ und „düster“ nicht direkt unter „anspruchsvoll“ verbucht. Zu kaufen gibt es das Heft am „Auf Abwegen“-Gabentisch, auf dem sich neben den CDs der auftretenden Acts auch einige feine Tapes, Platten und eine kleine Auswahl aus dem umfangreichen Mailorderkatalog finden. Wer seine Sammlung um Alben von AUBE oder MERZBOW erweitern wollte, lag hier jedenfalls goldrichtig.

Um kurz nach neun treffen wir wieder im Cuba ein, gerade rechtzeitig für NID, deren anstehendes zehnjähriges Jubiläum sie bereits als Veteranen qualifiziert. In einem kurzen Gespräch nach ihrem Set stellt sich heraus, dass Eidgenossen durchaus schneller sprechen können als Weinbergschnecken kriechen und von allen Klischees bewahrheitet sich höchstens das des guten Schweizer Geschmacks, denn was Chris Sigdell und J. Eberhard (letzterer übrigens aus Bremen) bieten, ist wunderbar eklektisch und unerwartet unkompliziert. Letzteres nicht im Sinne von simpel, anbiedernd, stumpf, sondern von eingängig und ohne Umwege erschließbar. Die ambienten Passagen erschöpfen sich nicht in reiner Lautmalerei, sondern fließen stets über einem belebenden unterirdischen Puls aus rhythmischem Dröhnen, während zarte Melodien die finsteren Fetzen lärmender Nacht einfühlsam zusammenhalten. Derweil Sigdell das Grundgerüst aus dem Rechner konstruiert, stopft Eberhard die aufbrechenden Löcher mit ausgesuchtem Vinyl und dem Spielen eines wohl selbstgebastelten Instruments, welches die Kreuzung eines Mikrofonstativ mit einem Theremin markiert. Durch leichtes Fingerprasseln am Schacht entsteht ein dumpfes Dampferdröhnen, welches durch Auf- und Zuschrauben des Ventils zischend wie eine Rauchwolke durch den Kamin entweicht. Mit beinahe einer Stunde gerät der Auftritt zu lange und erschöpft sich gegen Ende ein wenig in Wiederholungen, doch den ungemein positiven Eindruck kann das schon längst nicht mehr tilgen.

VIDNA OBMANA, der entgegen den Erwartungen und wahrscheinlich aus organisatorischen Gründen nicht das Topping, sondern den Belag im Konzertsandwich bildet, setzt der gerade erlebten Formenvielfalt eine geradezu rituell reduzierte Performance entgegen. Der lange Bart, den sich Dirk Serries hat wachsen lassen und die aus der Reisetasche hervorgezauberten Flöten verstärken den Eindruck einer Lektion in Schamanismus: Über zeitlupenhaft variierenden, enigmatisch mäandernden Tribal-Beats wird ausgiebig improvisiert. Serries steht weit rechts im Raum und überlässt den Bildern aus dem Beamer die Show, während er mit einem Bogen über die Gitarre streicht und Perlenketten aus Obertönen produzierte. Das klingt ein wenig anstrengend und ist es zunächst auch, weil zumindest anfänglich die magischen Momente zeitlosen Dahindriftens ein wenig fehlen – zumindest ein paar Augenblicke ohne den Drumcomputer wären hier schön gewesen. Andererseits ist das Schlagzeug brillant programmiert, der Sound mystisch-kühl und knackig und nimmt einen die entrückte Monotonie dann doch gefangen. Gegen Ende finden sich noch irre Flächen und Chöre ein und mit einer brillanten Minimalmelodie verabschiedet sich VIDNA OBMANA mehr als überzeugend.

Nach der eigentlich recht knappen angekündigten „langen Umbaupause“ ist dann die Bühne frei für die beiden übriggebliebenen Amerikaner des ursprünglichen „2004av package“-Trios, das die Künstler noch nach Österreich und Frankreich führen wird. Und es sei bereits an dieser Stelle gesagt: Jeder, der es versäumt hat, statt müde auf der Couch zu furzen, sich für schlappe acht Euro zu diesem Konzert zu begeben, wird es noch bitter bereuen. DAVID BRADY hat alle Promo-CDs bereits an den ersten beiden Dates ausverkauft und anhand seines Sets fällt es einem nicht gerade schwer, den Grund dafür zu erraten. Auch er versteckt sich in einer Ecke des Saals, durch einen Spot nur notdürftig angestrahlt. Die wahre Action geht ohnehin bei den Projektionen und im Ohr ab: Eine über noisiges Rauschen gelegte, triumphale Melodie wird zunächst aus Splittern aufgebaut, dann sorgfältig demontiert und neu zusammengesetzt. Dazu gibt es eine aus Wärmebildern bestehende Animation, die es sich irgendwo zwischen der Chill Out Zone und einem bizarren Horrorfilm bequem macht. Das subtile Spiel aus Erwartung und Erfüllung bildete den Kern dieser faszinierenden Darbietung, die Brady sowohl für Avantgarde-Installationen, als auch angeregtes Lauschen vor dem heimischen Herd empfiehlt.

Danach entlässt einen J. FREDE mit einem an BILL VIOLA geschulten Video und lebendigen Soundstrukturen in die Nacht. Während das Wasser auf der Leinwand mal rascher, mal ruhiger vorbeifließt, strömen auch diese Klänge durch den Äther des Bewusstseins und sind großartig, ohne dass man jetzt genau sagen kann, warum. Dass einer der Zuschauer genau in dem Moment, als der letzte Ton erklingt, den Saal mit den Worten „Ich gehe – das ist mir zu langweilig!“ verlässt, mutet beinahe schon wie Kunst an.

Bei einem Bierchen steht man danach noch zusammen und versucht ein Urteil zu finden. Fest steht: Ein breiteres Spektrum der so oft als einseitig verschrienen Szene wird man selten finden. Der ebenfalls anwesende Robert von NAARMANN & NEITELER jedenfalls wird nun wieder öfter vorbeischauen. Wir auch!

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