Ort: Leipzig – WGT
Datum: 21.05.2018
S/\RIN (Volkspalast, Kuppelhalle)
Unseren vierten und letzten Tag des diesjährigen Wave-Gotik-Treffens wollten wir wie in den vergangenen Jahren fast ausschließlich im Volkspalast verbringen, um dem vollgepackten Programm beizuwohnen, was durch Wechsel zwischen den Bühnen in Kuppelhalle und Kantine entsteht. Was uns an diesem Tag erwartete, ist sicherlich nicht „für alle Tage“ oder zumindest nicht für jedermanns Gehör geeignet, gab es doch eine beachtliche Bandbreite an ungewöhnlichen elektronischen Acts auf die Ohren. Dank der etwa einstündigen Verzögerung im Zeitablauf, verursacht durch den Soundcheck von Herrn Bargeld, welcher zum krönenden Abschluss des Abends mit seinem musikalischen Partner Teho Teardo angekündigt war, kamen wir unverhofft zur Show des im Iran geborenen Embad Dabiri aka S/\RIN in der Kuppelhalle an. Auf quasi nüchternen Magen war das schon eine ordentliche Packung, denn der von technoiden und industriellen Einflüssen geprägte hämmernde Sound wurde von teilweise aus Kriegsgeschehen mit Drohnen und 3D-Gehirnschnitten bestehenden Video- bzw. Bildsequenzen auf der Leinwand begleitet. Der junge Mann, der mit schwarzer Vollgesichtsmaske aus Leder an den Reglern stand, verarbeitet mit seinen harten eisigen Klängen offensichtlich schwerwiegende Themen meist aus aktuellem Kriegsgeschehen, die er mit je Song wiederkehrenden Motiven in schwarz-weiß anstelle von Gesang unterlegt. Der namensgebende, in den 1930er Jahren entwickelte Kampfstoff Sarin ist hier Programm – angespannt und gebannt verfolgten wir dieses brettharte Set.
BEINHAUS (Volkspalast, Kantine)
Etwas lockerer, jedoch kaum versöhnlicher waren die Klänge, die Bandgründer Marko Schröder und Robert Karliczek mit Hilfe diverser meist metallischer Gegenstände, etwa einem Ölfass sowie Benzinkanistern und Kreissägeblättern auf Instrumentenständern erzeugten. Die von einem elektronischen Teppich unterlegte Percussion Show von BEINHAUS wurde unter vollem Körpereinsatz von Frontmann und Sänger Robert Karliczek aka Robert Glück dargeboten – getreu dem auf ihrer Internetseite zu lesenden Motto „We give electronic music a sweating body back.“ Nach ihrer Gründung 1994 brachten die Wiesbadener zunächst zwei Demotapes heraus bevor im Jahr 2000 ihr Debüt „Das Wort muss eine Waffe sein“ und zwei Jahre später das Minialbum „beinhaus.exe“ erschien. Nach weiteren Veröffentlichungen bis 2009 gab es zwar vereinzelte Liveauftritte, jedoch bis zum erstmals in einem Tonstudio entstandenen Album „Adaptiert Hi-Tech“ aus 2015 keine weiteren Tonträger. Seit 2016 tritt BEINHAUS als Trio mit David Kim Hermsdorf aka THE VAGUE FAITH auf, der eine weitere Stimme zu den meist als Sprechgesang vorgetragenen deutschen Texten beisteuert, wenn diese in Schreie übergehen und wenn die beiden wie bei „Im Krieg“ auf eine Mörtelkelle befestigte Bleche über den Köpfen tragend, auf diese einschlagend durchs Publikum stapfen. Neben eigenen Texten wurde auch eine für ihre Verhältnisse melodische Version von MARLENE DIETRICHS „Wenn ich mir was wünschen dürfte“ zum Besten gegeben, zu der ein U-Stück auf einer Metallstange als Saite gespielt wurde. Sichtlich erfreut tauschen sich die Zuschauer über dieses interaktive Konzert aus, bevor die meisten direkt in die Kuppelhalle wechselten, in der es nahtlos weiterging.
SARDH (Volkspalast, Kuppelhalle)
Auf der Bühne stand das bereits in den 1980ern um Detlef Schweiger gegründete experimentelle Klang-Bild-Kollektiv SARDH, das in der Dresdener Künstlerszene begann, indem es Bilder mit Klängen „weitermalte“. Auch heute werden die teils sphärischen teils noisigen Klänge für das Publikum anschaulich erzeugt, indem etwa ein auf einem Tripod befestigte Theremin gespielt oder ein Messband mit einem Geigenbogen gestrichen wird. Am heutigen Abschlussabend des WGT wurde die neueste Klangkollage „SARDH:UNORT“ zur Uraufführung gebracht, bei der Gastmusiker Matthias Jackisch eine Steinflöte spielend an Bord war. Während Schweiger nicht nur den von flüsternd bis schreiend ausgeführten Gesang, sondern auch Töne eines weiteren Theremin und elektronische Sounds beisteuerte, war Herr VOXUS IMP. an Keyboard und allerlei Percussion Material zugange. Mit dem Bandkollegen BALOG von letztgenanntem Projekt sowie den unter ihren Künstlernamen im Line-up genannten Herren WORMSINE und JOEL wurde das Ensemble komplettiert. Um die flächigen mal schrägen, mal harmonischen Sounds zu erzeugen, waren alle fünfe permanent am Werkeln und erzeugten so einen dichten Klangteppich, der sich zeitweise in eine stehende Bass-Wand verwandelte, die den Gerätetauchern unter den Zuhörern wie ein Tauchgang an der Sporttauchgrenze vorkommen konnte, bei dem die Wassersäule einen um den fünffachen Druck als an Land erzeugt. Beinahe wie in Trance versetzt entließen uns die Musiker aus dem Konzertsaal.
TRISOMIE 21 (Haus Leipzig)
Einen Ortswechsel wagten wir dann doch noch, denn keine geringeren als TRISOMIE 21 standen im Haus Leipzig auf dem Programm. Wie bei ihren zeitgenössischen Lands Männern GUERRE FROIDE am Freitag am Stadtbad bot sich uns beim Eintreffen ein ähnliches Bild: etliche Wartende reihten sich viele Meter entfernt vom Eingang aneinander – es schien hoffnungslos. Nur was sollen wir sagen: erneut konnten wir mit Hilfe von Bekannten, die einen Platz im vorderen Teil der Warteschlange für uns freigehalten hatten, rechtzeitig in den gut gefüllten Zuschauerraum gelangen. Die in den 80er Jahren des vorigen Jahrhunderts von den Brüdern Hervé und Philippe Lomprez gegründete Band wurde mit den Hits „La Fête Triste“ von ihrem zweiten Album „Passions Divisées“ aus 1984 und „The Last Song“ vom zwei Jahre später veröffentlichten Album „Chapter IV“ bekannt, mit denen sie sogar in den Charts landeten. Diese Ohrwürmer im Stile des Cold Wave waren uns im Gedächtnis und wurden zum Ende des Auftrittes auch gespielt – bis dahin wollte sich bei uns jedoch nicht so recht die Stimmung einstellen, um wie gewohnt unser Tanzbein in Schwingung zu versetzen. Lag es an der eher bewegungsarmen Erscheinung vom Frontmann in schwarzem Seidenhemd und beiger Hose oder an seiner scheinbar ohne Effekte unterlegten und damit wenig dominanten Stimme – wahrscheinlich eine Mischung aus beidem. Zugegebenermaßen hatten wir die musikalische Entwicklung nicht so genau verfolgt, die von einer Schaffenspause von Ende der 1990er bis Mitte der 2000er unterbrochen war. Anschließend präsentierten die Lomprez-Brüder ihre neuen Songs einerseits mit dem Remix-Album „The Man Is A Mix“ in elektronisch technoidem Gewand und andererseits in einem deutlich wärmeren, poppigeren Stil auf dem im selben Jahr veröffentlichten Album „Happy Mystery Child“. Die anhand der letzten beiden Veröffentlichungen „Elegance Never Dies“ aus 2017 mit neuem Material und der ganz frisch erschienenen „Don’t You Hear?“ mit teils unveröffentlichten Stücken zu verzeichnende Aktivität lässt uns dennoch gespannt sein, womit die Herren aus Frankreich künftig noch aufwarten werden.
TEHO TEARDO & BLIXA BARGELD (Volkspalast, Kuppelhalle)
Zurück im Volkspalast füllte sich die Kuppelhalle schnell bis zum Rand – alle wollten sich von dem mit gründlichem Soundcheck vorbereiteten Konzert der Herren TEHO TEARDO & BLIXA BARGELD nun selbst einen Eindruck verschaffen. Dass hier nichts dem Zufall überlassen werden sollte und Blixa die Sache in der Hand hatte, war nicht zuletzt auch an der kleinen Fernbedienung zu erkennen, mit der er die Seiten auf dem vor ihm etwas verdeckt auf dem Boden stehenden Notebook weiterblätterte. Neben der E-Gitarre, die der italienische Musiker, Komponist, Sounddesigner und seit 2011 auch Label-Betreiber TEHO TEARDO wahlweise mit dem Geigenbogen strich, sowie den ebenfalls von ihm erzeugten elektronischen Sounds kamen klassische Instrumente sowie ein kleines Glockenspiel zum Einsatz. Am Cello die auch aus Italien stammende Musikerin, Komponistin und Dozentin LAURA BISCEGLIA, die vom Quartett begleitet wurde, das sich aus zwei Geigen, einer Viola sowie einem weiteren Cello, gespielt von Leipziger Musikern, zusammensetzte. Die Bassklarinette spielte GABRIELE COEN, der seit Mitte der 1990er als Musikerin in Klezmer und Jazz Formationen aktiv ist. Mit diesem Ensemble wurde eine musikalische Bandbreite von experimentell rockig, über avantgardistisch bis in die moderne Klassik erzeugt, die dank der umfangreichen musikalischen Laufbahnen der einzelnen Persönlichkeiten einen durchgehenden Hörgenuss bot. Im Laufe des bis gegen ein Uhr dauernden Konzertes nahmen uns die Musiker mit auf die Reise durch die Liederlandschaft der inzwischen vier Veröffentlichungen – zwei LPs und zwei EPs, die seit 2013 entstanden sind. Zum einen oder anderen Stück erzählte Blixa, der zwar einen schwarzen mit Silberfäden versetzten Anzug samt Weste und Schlips trug, sonst aber wie gewohnt barfuß auf der Bühne stand, eine Anekdote zur Entstehung. Etwa die Geschichte vom Mafiamitglied im Titel „A Quiet Life“, der ein neues Leben als Pizzabäcker anfangen wollte oder dem Song für seine Frau, in dem er singt „Ich Bin Dabei“ – und zwar mit diversen fiktiven Handlungen, Einfluss auf die Winterzeit zu nehmen. Während die meisten Texte von den beiden Herren Bargeld und Teardo geschrieben sind, finden sich auf den mit „Spring“ und „Fall“ betitelten Mini-Alben auch Coverversionen, wovon ebenso eine Kostprobe gegeben wurde: Zum 1979 veröffentlichten und aus der Feder von NEIL YOUNG stammenden Hit „Hey Hey, My My“ gab Blixa eine einhändige Trommeleinlage und sang weiter im Text: „Rock’n Roll can never die“ – womit er wohl auch ein Statement abgab.
Unser Statement zum 27. WGT: wieder eine sehr gelungene Tonveranstaltung an tollen Orten mit einer Wahnsinns Auswahl, der wir sicherlich auch zur nächsten Auflage in 2019 beiwohnen werden.
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