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WAVE GOTIK TREFFEN 2018 – TAG 1

Ort: Leipzig – WGT

Datum: 17.05.2018 - 18.05.2018

Donnerstag, 17. Mai 2018
WGT EBM WARM UP (Felsenkeller)

Nach dem WGT ist vor dem WGT? Auf jeden Fall – nur bisher ist das „Vor“ doch noch sehr lange hin und somit lohnt sich der Blick zurück, um die Erinnerungen aufzufrischen und noch etwas von ihnen zu zehren.

Auch wenn das offizielle Programm freitags startet, wird der Donnerstag nicht nur zur Anreise genutzt: das Warm-up, das seit zwei Jahren ein größeres Domizil als zuvor in der Villa findet, bot schon einen vollen Festivalabend mit neun Bands auf zwei Bühnen. Der Felsenkeller war zu unserem – zugegebener Weise verspäteten – Eintreffen in allen Räumen bestens gefüllt. Neben dem Begrüßen von Freunden und Bekannten konnten wir schon vertrauten Klängen von der Bühne lauschen oder besser uns vom druckvollen Sound in beste Partylaune versetzen lassen, mit dem das Old School Set von THOROFON das Naumanns erfüllte. Frontmann Daniel Hofmann aka Dan Courtman aka Anton Knilpert wusste sich im weißen Anzug sowohl auf als auch vor der Bühne in Szene zu setzen und spätestens mit dem Tanzflächenhit „Riotdictator“ vom zweiten Album „Final Movement“ den Mob von einer wogenden in eine pogende Masse zu verwandeln. Auf der großen Bühne gab es dann als Headliner für die Freunde der ursprünglichen EBM Klänge PORTION CONTROL auf die Ohren. Die Briten Dean Piavanni und John Whybrew, die nach einer Schaffenspause in den 1990er Jahren als Duo weitere acht Alben seit Mitte der 2000er Jahre veröffentlicht haben, brachten die Tanzbeine im Publikum in Schwingung – was auch nach dem Konzert bis in die frühen Morgenstunden anhielt. Zum Tanz luden nach den Konzerten auch das Naumans sowie der kleine Floor im Keller ein. In letzterem wurde ein ordentliches Krach-Set geboten, so dass nur die Hartgesottenen unter den Gästen zu mehreren Songs am Stück verweilten.

Freitag, 18. Mai 2018
VIKTORIANISCHES PICKNICK (Clara-Zetkin-Park)

In diesem Jahr sollte unser Vorhaben, dem Viktorianischen Picknick im Clara-Zetkin-Park beizuwohnen, endlich in die Tat umgesetzt werden. Zu allem Überfluss hatten wir den Besuch des erst wenige Tage zuvor angekündigte Open Air Kammerkonzert von GOETHES ERBEN kurzfristig in unseren Plan einbinden wollen, was mangels ausreichender Ortskenntnis nicht ganz gelang. Gerade als die letzten Töne der markanten Stimme von Oswald Henke verklangen, erreichten wir den Ort des Geschehens. Dafür waren wir genau richtig zum Beginn des Viktorianischen Picknicks und konnten so ganz gediegen in das diesjährige Wave-Gotik-Treffen starten.

PINOREKS (Volkspalast, Kantine)

Nach einem Abstecher auf dem Agra-Gelände fuhren wir zum Volkspalast, wo es in der Kantine etwas später als im Programm vorgesehen die Potsdamer Formation PINOREKS zu erleben gab. Der eine oder andere Gast hatte die vier Jungs vielleicht schon im Vorprogramm von CRISIS in den vergangenen Monaten gesehen. Wie die Briten um Douglas Pearce und Tony Wakeford starteten auch PINOREKS mit Punkrock – nur ein paar Jahrzehnte später verwenden Sie seit dem zuletzt erschienenen Album „Behind And Beyond“ verstärkt Klänge aus Post-Punk und Wave. Auf der Bühne liefert Sänger Megel einen mitreißenden Auftritt ab, der nach und nach immer mehr hinzukommende Tänzer im Publikum animiert. Neben abwechslungsreichen Tanzeinlagen, von pantomimisch bis dynamisch springend, sowie variierendem Stimmeinsatz greift er auch zum roten Xylophon und ergänzt die klassische Bass-Gitarre-Schlagzeug Instrumentierung seiner Bandkollegen auch mal mit einer Trommeleinlage. Mit zappelndem Tanzbein verlassen wir das Konzert etwas verfrüht, um den nächsten Programmpunkt rechtzeitig erreichen zu können.

GUERRE FROIDE (Stadtbad)

Beim Anblick der Wartenden, die sich vom Einlass um den Vorplatz herum und am rechten Gebäudeflügel entlang aneinanderreihten, hatten wir kaum Hoffnung, noch vor Konzertbeginn ins Gebäude zu gelangen. Dank netter Bekannter, die schon länger anstanden, konnten wir doch noch etwas Platz im Inneren des bis zum Anschlag gefüllten Stadtbads finden und vereinzelt einen Blick auf die Bühne werfen. Dort war Sänger Yves Royer zusammen mit Fabrice Fruchart, einem weiteren Gründungsmitglied von GUERRE FROIDE, an Gitarre und Keyboard sowie den zur Reformation 2006 hinzu gekommenen Samuel Druon am Bass und Co-Sängerin Sabatel zu erspähen. Die junge Frau, die die Tochter von Yves sein könnte, war in ihrem roten Kleid und dunkel geschminktem Schmollmund durchaus ein dekorativer Hingucker, konnte im Gegensatz zu ihm jedoch nicht ganz überzeugen. Während der silber-weiß gescheitelte Herr eine ausdrucksstarke Bühnenpräsenz mit hingebungsvollen Tanzeinlagen hinlegte, wirkte die junge Frau mädchenhaft schüchtern und konnte weniger mit ihrer Stimme als den ins Publikum geworfenen Papierflugzeugen punkten. Dabei ist Sabatel als Frontfrau von CHESHIRE CAT (THE BOUNCING), einem Duo mit Batcave- und Punk-Einflüssen sowie der Post-Punk Band DEAR DEER seit Mitte der 2000er mit einigen Veröffentlichungen und Auftritten unterwegs. Insgesamt versetzte uns GUERRE FROIDE in eine eher melancholische Stimmung, wie es sich für eine Cold Wave Band der 1980er Jahre gehört, indem sie nach wie vor oder auch jetzt wieder aktuelle Themen rund um den Bandnamen gebenden „Kalten Krieg“ zu den passenden kühlen Klängen auf die Leinwand brachte.

BOY HARSHER (Stadtbad)

Jetzt war der erste Moment gekommen, an dem wir uns zwischen Im-Stadtbad-Bleiben oder Zur-nächsten-Location-Gehen entscheiden mussten – oder auch nicht: als Zweigestirn teilten wir uns auf, um den nächsten Act im Stadtbad und den in der Kantine vom Volkspalast parallel zu verfolgen.

Um 21:10 Uhr stand das Dark Electronic Duo aus Massachusetts, bestehend aus Augustus Muller und Jae Matthews, inmitten von Nebelwänden auf der Bühne und begannen die Show. Sie erzählten gekonnt Geschichten aus tiefbauchigen Electro-Sounds und verstanden es, diese mit äußerst tanzbaren Beats zu kombinieren. Mit dabei: Jaes flüsternde, mal durchaus etwas lauter werdende bis hin zu kreischenden Vocals, die uns wie durch einen Film über das Konzert begleiteten. Hierzu noch etwas zum Hintergrund des Duos: gegründet 2013, damals noch unter dem Namen TEEN DREAMZ, basierte das Projekt der beiden Filmstudenten Augustus Muller und Jae Matthews ursprünglich auf Kurzgeschichten von Matthews, die er vortrug, während Muller sie live vertonte. Mit der Zeit wurden die Instrumentals immer tanzbarer und Matthews Art vorzutragen immer spontaner. Im Januar 2014 benannten sie sich dann in BOY HARSHER um. Zuletzt veröffentlichten die beiden eine extended Version ihrer EP „Lesser Man“, auf der Minimal-Beats und kreischende Synthesizer sich mit Flüstern, Schreien und Sprechgesang zu einer mitreißenden Mischung zwischen EBM und Drone verschmelzen. Und auch die Wurzeln in der Filmindustrie merkt man ihrer cineastischen Herangehensweise an die Musik ebenso wie ihren Live-Performances noch heute deutlich an.

Ein heißer Tipp: besucht die Band unbedingt mal auf ihrer Website. Neben ihrer Musik finden sich Artworks aus Collagen, Flyer-Designs und analogen Show-Eindrücken. Damit gibt das Dark-Electronic-Duo aus Massachusetts Inspiration für all unsere Sinne.

CRISIS (Volkspalast, Kantine)

Nach dem Ausflug ins Stadtbad zum Cold Wave aus den 1980er Jahren ging es – für eine Hälfte des Reporterteams – zurück zum Volkspalast und noch etwas weiter in die Vergangenheit: zu den im politischen Punk in Großbritannien gegründeten CRISIS. Die Band begann 1977 mit Sänger Phrazer, Bassist Tony Wakeford, Insect Robin the Cleaner am Schlagzeug sowie Lester Jones und Douglas Pearce an den Gitarren mit Songs im Stil von THE CLASH und entwickelte später ihren eigenen Sound, der (Zurück-in-die-Zukunft) dem heutigen Post Punk näherkommt. Während das zumeist dem neofolkigen Sound der Folgeprojekte von den beiden Gründungsmitgliedern Tony Wakeford und Douglas Pearce zugeneigte Publikum den punkrockigen Klängen etwas skeptisch gegenüber zu stehen schien, kamen aber auch Anhänger von Konzerten mit Pogomob nicht ganz auf ihre Kosten. Entgegen der kraftvollen Songs und provokanten Texten machten die Herren um Sänger Lloyd James, bekannt von seiner Band NAEVUS, einen eher verhalten konzentrierten Eindruck, der kaum emotionale Regung oder gar Exzesse auf der Bühne ermöglichte. Die ganze Energie floss also in das musikalische Wirken, was den Hörgenuss der Songs, die in anderer Reihenfolge auf dem 2008 veröffentlichten Live Album vom letzten Auftritt der Band 1980 zu finden sind, auf konstant hohem Niveau hielt. Dass wir die Originaltexte von CRISIS heute wieder live erleben können, ist Gründungsmitglied Tony Wakeford zu verdanken, der 2015 das Projekt zunächst unter dem Namen 1.9.8.4. ins Leben rief, um seine Texte auf die Bühne zu bringen, die er während seines Mitwirkens bei CRISIS und DEATH IN JUNE geschrieben hatte.

EINAR SELVIK (Schauspielhaus)

Zum Abschluss des Abends machten wir uns – wieder mit vereinten Kräften – auf zum üblicherweise mit langem Warten am Einlass verbundenen Schauspielhaus, was in Anbetracht des angekündigten Auftritts des mit seinem Nordic Folk Projekt WARDRUNA bekannt gewordenen EINAR SELVIK nicht anders zu erwarten und auch diesmal zu erfahren war. Uns war das Glück am Einlass erneut gewogen, und so konnten wir ein echtes Highlight am ersten WGT Abend in dieser stimmungsvollen Räumlichkeit genießen. EINAR, der im Gründungsjahr der zuvor beschriebenen Band noch nicht einmal geboren war und Anfang der 2000er Jahre als Schlagzeuger bei der Black Metal Band GORGOROTH bekannt wurde, geriet ins große Rampenlicht, als WARDRUNA den Soundtrack zur Fernsehserie VIKINGS beisteuerte. So war dieser Konzertabend ein besonders intensives Ereignis, bei dem sich der Sänger ausgiebig Zeit nahm, um dem Publikum die Wurzeln und historischen Hintergründe seiner Musik zu erläutern – eine sehr kurzweilige, lehrreiche und dabei durch seine ausstrahlende innere Ruhe fast meditative Veranstaltung. Alle, die bei Meditation ans Einschlafen denken, seien hier eines Besseren belehrt, denn die meist von Kehlkopfgesang geprägten Stücke versprühten eine enorme Energie. Bei all der Ernsthaftigkeit der anhand von Gedichten oder Geschichten zu Runen und Göttern vorgetragenen Themen über Sonne und Tod, Reichtum und Seele, kamen mit Interpretationen zu Filmszenen oder mit Vergleichen zu moderner Technik humorige Einlassungen nicht zu kurz: Was tut ein norwegischer Held à la Indiana Jones, der in eine Schlangengrube geworfen wurde? Dichten! Und: bevor er ein Stück auf einem norwegischen Horn intonierte, beschrieb er das Instrument als I-Horn 5, weil es deutlich jünger als andere historische Fundstücke ist und über fortschrittliche fünf Löcher verfügte. Da diese naturbelassenen Blasinstrumente auf klimatische Veränderungen reagieren und nicht immer den gleichen Klang ermöglichen, warnte er das Publikum vor, dass die nun zu hörenden Töne einer kranken Kuh ähneln könnten – was glücklicherweise nicht der Fall war. Zum Ende des Konzertes entließ uns EINAR SELVIK mit seiner Empfehlung, dass jeder von uns mehr singen sollte, weil sich eigene Gefühle ändern, wenn man sie in Musik ausdrückt.

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