Ort: Löbnitz bei Leipzig
Datum: 06.07.2008
MAMBO KURT
Nachdem ich mich erst unlängst davon überzeugen konnte, dass das Repertoire MAMBO KURTs immer noch zu größten Teilen dem entspricht, was er in den letzten Jahren schon hier und da dargeboten hatte, entschloss ich mich, dem Auftritt beim WFF fern zu bleiben. Von weitem aber hörte man pünktlich die Heimorgel dudeln, und Jubeltiraden ließen darauf schließen, dass MAMBO seine Anhänger wieder einmal hatte mobilisieren können. Am Ende seiner Spielzeit – so wurde mir zugetragen – konnte er seine wilde Seite dann wie so manch anderes Mal nicht länger im Zaum halten und drosch animalisch mit einem Vorschlaghammer auf seine treue Heimorgel ein, während Orgelpraktikantin Jessica „Just can’t get enough“ darbot. Fazit: MAMBO gehört inzwischen ja fast zum Inventar auf Rockveranstaltungen größeren Kalibers und ist sicherlich immer gut für einen Schmunzler; seine Gags und Anmoderationen kennt man aber nach zwei Mal gucken bereits auswendig, so dass sich der Spannungsbogen doch eher im unteren Bereich bewegt. Frischer Wind von Nöten!
THE EXPLOITED
Wer schon immer einem alternden, leicht untersetzten Mann mit buntem Iro dabei zusehen wollte, wie er seinen eigenen Mythos zerstört, der war beim Auftritt von THE EXPLOITED goldrichtig. Obwohl es irgendwie schon verständlich ist, dass Urgestein Wattie Buchan nun auch was vom Kuchen abhaben will, der ihm zu idealistischeren Zeiten verwehrt geblieben ist. Vor der Mainstage war es erschreckend luftig und obwohl Buchan so energisch er konnte gegen die Leere anschrie – wirklich Stimmung aufkommen wollte beim Gros der Beobachter nicht. Der punkige Sound hielt dem direkten Vergleich mit den druckvollen Vorgängern VOLBEAT nicht stand und ließ THE EXPLOITED blass dastehen. Ich persönlich entwickelte so etwas wie Mitleid bei diesem eigenmächtig vollführten Gang zum Schafott und entschied mich bald, dem nicht länger beiwohnen zu wollen.
H2O
Ein weiteres Mitglied der New York Hardcore-„Gesellschaft“ war angereist: H2O hatten ihre neue Platte „Nothing to Prove“ mit im Gepäck, auf die die Hörerschaft immerhin rund sieben Jahre hat warten müssen. Es war recht voll vor der Bühne, dennoch: Zeitgleich standen VOLBEAT auf der Mainstage, und so sprang auch ich nur zwischenzeitlich immer wieder mal eben in das Zelt, um mir einen Eindruck zu verschaffen. Titel wie das neue, sehr einprägsame „What happened?“ verdeutlichten hier, dass der analytisch-kritische Touch immer noch von großer Bedeutung in den Lyrics von H2O ist und die Herren immer noch wissen, wie man melodiösen Hardcore fabriziert. Neben Evergreens wie „One life, one Chance“ wurde mit „5 Year Plan“ noch ein wenig tiefer in die eigene Plattenkiste gegriffen und ein Stück aus den frühen Jahren um 1996 dargeboten. Das, was ich gesehen habe, hat mich sehr erfreut!
VOLBEAT
VOLBEAT gehörten in den letzten Jahren ja schon fast als Hausband zum WFF. Und trotz der Omnipräsenz sind sie seltsamer Weise keine der Formationen, die man schon langsam nicht mehr ansehen mag. Irgendwie kommen die Dänen immer sehr frisch rüber – wenngleich sich das Repertoire von Mal zu Mal nicht allzu sehr verändern mag. Hier gab es nun u.a. “The Garden’s Tale”, “Caroline Leaving”, “Soulweeper” und “River Queen” zu hören, und die Menge vor der Bühne tanzte sich ausgelassen durch das Set. Fronter Michael Poulsen richtete zwischendurch wie gewohnt seine Pomade – ganz so guter Dinge wie gewohnt war er aber nicht, sondern schien über weite Strecken eher verhalten. Wirklich bedrückt zeigte er sich dann, als er auf seinen kürzlich verstorbenen Vater zu sprechen kam und ihm den Titel „Sad Man’s Tongue“ widmete. Hat sich aber dennoch souverän die Setlist entlang gearbeitet, und er und seine Bandkollegen von VOLBEAT haben vielen Festivalbesuchern zweifelsohne einen schönen Nachmittag beschert.
SHE-MALE TROUBLE
Leider kam ich verhältnismäßig spät an den Ort des Geschehens, so dass ich nicht den kompletten Gig miterleben konnte. Dennoch kann ich getrost folgendes Statement von mir geben: Die Berliner von SHE-MALE TROUBLE zählen zu meinen persönlichen Neuentdeckungen vom diesjährigen WFF. Nicht nur, weil Fronterin Carola und ihre Mannen so sympathisch rüber kamen, sondern auch, weil ihre punkig angehauchte, rock ’n’ rollige Gitarrenmusik ziemlich viel Spaß gemacht hat. Deutlich Spaß hatte auch die Band selbst und widmete einen ihrer Songs gut gelaunt dem dekorativ als Teenage Mutant Hero Turtle zurechtgemachten Besucher im vorderen Bühnenbereich – der zugleich auch mein persönlicher Liebling aller skurril inkognito auftretenden Gestalten war. Unser grüner Freund fühlte sich auch deutlich geehrt und drehte noch ein paar weitere Runden im Tanzbereich vor der Zeltbühne, begleitet von so manch anderem Festivalbesucher. Präsentiert wurden Titel wie „Ugly“, „Down the Drain“ und eine Coverversion zu BANANARAMAs „Venus“. Mit einer kleinen Menschenpyramide der Saiteninstrumentalisten, auf deren Spitze Carola posierte, wurde der Entertainment-Faktor dann noch zusätzlich angehoben. Zwanghaftes Mithibbeln war unumgänglich! Von solchen Bands brauchen Festivals wie das WFF mehr, um diskret mal wieder etwas Frischfleisch zwischen das eingefahrene Billing der etablierten Acts zu schieben.
J.B.O.
Eine Prämiere für mich, die vermutlich zur Folge haben wird, dass mich Teile meines Freundeskreises als inkonsequent belächeln und keine Rücksicht mehr auf meine lange gehegte Antipathie nehmen werden: Obwohl – oder vielleicht auch gerade weil – ich noch keine J.B.O.-CD länger als 2 Minuten ertragen habe, postierte ich mich nun tatsächlich einmal wagemutig vor der Bühne. Der Gig war schon einige Zeit am Laufen, so dass ich nur noch den letzten drei, vier Titeln beigewohnt habe, darunter „Wir ham ne Party“, das Neulingswerk „Raining Blood“ und den Rausschmeißer „Ein guter Tag zum Sterben“. Und was soll ich sagen: Live nicht so schlimm wie auf CD! Was Atmosphäre nicht alles ausmachen kann. War auch richtig gut gefüllt vor der Mainstage, wobei längst nicht jeder Zuschauer von Euphorie erfasst wurde. Dennoch: Die Herrschaften, bei denen dies dann doch der Fall war, machten einen derart putzigen und zufriedenen Eindruck, dass ich zwangsläufig lächeln musste und auch – ich traue mich kaum, es zu sagen – von der guten Laune angesteckt wurde. Bei mir zu Hause werden J.B.O. zwar nach wie vor keinen Einzug halten, aber ich muss tatsächlich zugeben, dass es Schlimmeres gibt!
LIFE OF AGONY
Nachdem Fronter Keith Caputo vor einiger Zeit noch auf Solopfaden durch die Republik wandelte, hatte er nun wieder seine Stammformation LIFE OF AGONY mit im Gepäck. Mit der Auswahl ihrer Setlist boten die New Yorker einen entspannenden Überblick über ihr bisheriges Schaffen: Diverse Titel setzten in den frühen 90ern an, darunter etwa „This Time“, „Bad Seed“, „Through and Through“ und „Underground“. Mit „Lost at 22“ und „Weeds“ bewegte man sich langsam in der Diskographie vorwärts, und Titel wie „Love to Let You Down“ schafften dann den Link zur Neuzeit. Caputo trat wieder derart ergriffen von seiner eigenen Musik, wild tanzend in Erscheinung, so dass die übrigen Musiker der Formation deutlich im Hintergrund verschwanden und im Bühnengeschehen nicht wesentlich auffielen. Vom Publikum wurden die von Caputo überaus authentisch präsentierten Textzeilen an vielen Stellen frenetisch aufgegriffen und mitgesungen, so dass der Auftritt LIFE OF AGONYs zu einem überaus stimmungsvollen Ereignis wurde. Caputo verabschiedete sich gegen 18h mit den Worten „Live safe, proud and positive!” vom Publikum, und wenn einer mit Lebensweisheiten hervor treten darf, dann gehört der inzwischen allem Anschein nach sehr mit sich im Einklang stehende Caputo mit seiner turbulenten Vergangenheit sicherlich dazu.
AVENGED SEVENFOLD
Die SONIC SYNDICATE des letzten Jahres waren dieses Mal die Herren von AVENGED SEVENFOLD. Nicht nur, was die verkrampft stylische Optik der Band und den unangebrachten Versuch betrifft, sich selbst als Rockstars sonder gleichen zu präsentieren. Vielmehr waren Venue, in diesem Falle also die Mainstage, und der super Slot wieder vollkommen unverständlich. Doch dass es hierbei nicht mit rechten Dingen zugehen würde, schwante mir gleich, als ich die sich zwischendurch immer wieder penetrant auf der großen Digitalwand neben der Bühne wiederholende Anpreisung des Albums der Kalifornier beäugte. Die einzige Band, für die in dieser Form Werbung gemacht wurde. Vermutlich wieder ein Package, das zu nicht nachvollziehbaren Konditionen vom Veranstalter gebucht werden musste. Gut – AVENGED SEVENFOLD haben Werbung sicherlich auch nötig, denn vor der Bühne war es dann doch relativ leer. Aber trotzdem finde ich es vermessen, eine solche Band zwischen etablierte Größen wie LIFE OF AGONY und BIOHAZARD zur besten Zeit auf die Hauptbühne zu setzen. Den einsetzenden Regen kann man hier getrost als ein Zeichen des himmlischen Protests deuten. Nachdem ich mir die von den Verkaufsmedien hoch gelobte Stilmischung aus – grob eingegrenzt – Metalcore und Heavy Metal für ein paar Songs angeschaut hatte, reichte es dann auch schon wieder. Präsentiert wurden in dieser Zeit „Afterlife“ und „Scream“ vom 2007 erschienenen, nach der Band benannten Album – wobei letzterer Titel als „Song für die Ladies“ deklariert wurde. Wie abgedroschen und unsympathisch. Bevor ich den Rückzug – ganz zappelig vom vielen Gitarrengefrickel – antrat, lauschte ich noch einem früheren Stück namens „Bat Country“, welches mich ebenfalls nicht zum Bleiben motivieren konnte. Fazit: Eine wieder einmal vollkommen überbewertete, von entsprechenden Labels und Medien zu unrecht gepushte Formation. Sicherlich mit Berechtigung, auf einem Festival wie dem WFF aufzutreten – aber bitte eingefügt in eine realistische Running Order.
BIOHAZARD
Schon zeitig platzierten sich Unmengen von Festivalbesuchern vor der Mainstage, denn nun galt es, das Wiedersehen mit der genreüberschreitenden Hardcore-Formation BIOHAZARD in Originalbesetzung zu feiern: Pünktlich zum 20-jährigen Bandjubiläum hatten sich die Herren aus Brooklyn wieder zusammen gefunden und gaben nun auf dem WFF ein standesgemäßes Stelldichein. Los ging es mit etwa 10 Minuten Verspätung um 20:25h, und dass das Publikum zu Recht auf diesen Auftritt gewartet hatte, zeigte sich schon bald sehr deutlich. BIOHAZARD waren überaus guter Dinge und gaben einen schönen Rundumschlag aus ihrer frühen Plattenkollektion zum Besten – gut durchdachter Schwerpunkt, denn die frühen Werke sind nun mal einfach besser. So wurden „Chamber spins three”, “Tales from the hard side”, “Urban discipline”, und “What makes us tick” aus den Jahren 1992 und 1994 dargeboten, und es war schon beeindruckend, wie textsicher ein Gros der Festivalbesucher in den unterschiedlichsten Altersklassen war. Ein musikalischer Beitrag gegen den Generationenkonflikt, quasi, der verdeutlichte, dass BIOHAZARD noch keinesfalls in Vergessenheit geraten sind. Auf der Bühne selbst hatten sich inzwischen ebenfalls viele Betrachter eingefunden, darunter auch Musiker anderer Formationen. Bei „Wrong Side of the Tracks” etwa trat Keith Caputo in den Vordergrund, Griff zum Mikro und sang beherzt einige Textpassagen mit. Billy Graziadei sprang derweil samt Gitarre Richtung Publikum und ließ sich vom Pit im wahrsten Sinne des Wortes stehend auf Händen tragen, während er weiterhin spielte. Eine sehr gelungene Aktion! Nachdem Menge und BIOHAZARD einvernehmlich eine gute Stunde gewütet hatten, wurde als Rausschmeißer noch „Hold my Own“ präsentiert. Ein wirklich gelungenes Set, das dem geneigten Fan keinen Wunsch offen gelassen haben wird.
CAVALERA CONSPIRACY
Am Ende des regulären Festivalprogramms – das legendäre Last Supper war jedoch still to come – erklommen die Gebrüder CAVALERA um 22h mit ihrer Band die Bühne. Im Vorfeld wurde die Versöhnung der Beiden ja dermaßen von den entsprechenden Musikmedien aufgebauscht, dass es nun nicht verwunderlich war, dass der Bereich vor der Bühne aus allen Nähten platzte. So brechend voll hatte ich kein anderes Konzert des diesjährigen WFF erlebt und wunderte mich schon ziemlich darüber. Denn CAVALERA CONSPIRACY werden eindeutig überbewertet. Was ein Name nicht alles für Vorteile mit sich bringt! Die Songs der Truppe sind dermaßen einfach gestrickt, dass der Zuhörer schnell das Interesse daran verliert – oder eigentlich verlieren müsste. Denn bei den Festivalbesuchern kamen die ersten Stücke, „Inflikted“ als Opener, danach noch „Sanctuary“ und „Terrorize“, dermaßen gut an, dass ich wirklich irritiert war. Die Struktur der Songs ist an sich schon sehr eindimensional und verliert sich in stilistischer Monotonie, und auch live fehlte hier folglich die Tiefe. Ein großes Manko. Darüber hinaus wurde innovationslos bei den eigenen Werken im Kontext anderer Bandkonstellationen abgekupfert – vermutlich ist es aber genau das, was die Fans hören wollen. Einigermaßen druckvoll war es ja wohl und die Masse vor der Bühne stachelte sich gegenseitig zu wildem Gespringe und Gejubel an. Trotzdem war ich keinesfalls überzeugt von dem, was ich da auf der Bühne sah, und dachte kopfschüttelnd darüber nach, wie willig der Konsument hier auf die Marketingstrategie des Produkts CAVALERA CONSPIRACY eingegangen ist. Hätte man es nicht einfach bei dem belassen können, was SEPULTURA und SOULFLY bis dato abgeliefert haben? Oder anders herum: Muss es wirklich sein, dass die neue Formation CAVALERA CONSPIRACY alte Titel wie „Territory“ oder „Roots Bloody Roots“ – welches später auch noch gespielt worden sein soll – noch mal aufwärmt? Will das echt noch jemand hören? Die simple Antwort lautet in diesem Falle klar „Ja“, und so hatte ich wieder einmal eine Lektion im Bereich Musikmarketing gelernt.
Copyright Fotos: Sebastian Steinfort
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