Ort: Osnabrück - Hyde Park
Datum: 15.02.2005
Seit Mitte Januar lassen sich WIZO im großen Stile zu Grabe tragen – die Sindelfinger Punks, die in den 90er-Jahren mit so manchem phänomenal medienwirksamen Auftritt von sich reden machten. Jetzt, beinahe 10 Jahre später, geht eine Ära zu Ende. Auf ihrer Reise durch Österreich, Italien, Deutschland und die Schweiz greifen die inzwischen Mittdreißiger noch mal ins volle Leben und lassen dabei so manches Punker- oder auch Nicht-Punker-Herz höher schlagen. Auch Osnabrück lag auf WIZOs Weg nach 6-feet-under und das konnte ich mir, so wie etwa 1000 andere, vorwiegend junge Leute nicht entgehen lassen. 16 Euro Eintritt für ein Konzert dieser Band, ein Spektakel, das man sicher niemals wieder sehen wird, waren durchaus akzeptabel und so stürmten am frühen Dienstagabend ab 19 Uhr hunderte fröhliche, vielfach bereits betrunkene Menschen in die hell erleuchtete Halle des Hyde Parks.
Das Riesenbanner auf der Bühne kündigte bereits jetzt die Vorband an: die ROCK `N` ROLL STORMTROOPERS, ebenfalls eine Sindelfinger Punkband, mit WIZO freundschaftlich verbunden, so dass außer ihnen niemand als Support in Frage kommen konnte. Verständlicherweise, wie sich später herausstellen sollte. Als ich um kurz nach sieben (ohne Kontrolle…) rein gelassen wurde, war die Halle ziemlich leer, beziehungsweise hatten sich die Gäste grobflächig an die verschiedenen Theken verteilt. Die erste Reihe war (noch) ohne Probleme begehbar und so sicherte ich mir gleich einen Platz an der Sonne. Während des Wartens auf die STORMTROOPERS füllte sich der Hyde Park aber zusehends, und bald war es nur noch bedingt möglich, Getränke durch die Reihen der sitzenden, überwiegend männlichen Menschen zu balancieren, um in die ersten Reihen zurückzukommen. 20 Uhr mag es gewesen sein, als WIZO alias Axel Kurth, Jörn Genserowski und Herr Guhl die Bühne betraten und urplötzlich eine Druckwelle aus den hinteren Gefilden des Publikums kam, die die Leute in der ersten Reihe regelrecht an die (ziemlich weit von der Bühne entfernte) Absperrung nagelte. Jedoch hatten die Herren Punks nicht vor, gleich selbst loszulegen. Sie bereiteten das Publikum nur darauf vor, dass jetzt erst mal etwas Aerobic gemacht würde, zum warm werden, und dafür hätten sie extra die 4 heißesten Aerobictrainerinnen aus ganz Sindelfingen mitgebracht: Die ROCK `N` ROLL STORMTROOPERS. Unter großem Applaus zogen die Herrschaften nach der kurzen Ansage ab und machten Platz für ihre Hotpants und Jeansweste tragenden männlichen – Kollegen.
Und die verstanden ihr Handwerk. Auch wenn man durch die sehr knapp zurechtgeschnittenen Jeanshosen Einblicke der eher ungewöhnlichen Art kriegte (oder gerade deshalb?) heizten die 4 Schwaben dem Publikum ordentlich ein. Sie spielten einige Songs von ihrem gerade erschienenen neuen Album „On Fire“, darunter „Saturday night (Feelin’ alright)“, „Hanging out with the Boys“ und die beiden hitverdächtigen „Rock `n` Roll Stormtroopers“ und „We’re gonna rock you“, bei denen sich wohl auch die letzten der anwesenden Gäste dem Charme dieser Band nicht mehr entziehen konnten und lauthals mitgrölten. Eine Dreiviertelstunde anständiger Party-Punkrock (und auch „Brachialballaden“…) im Stile der RAMONES erfüllten ihren Zweck, jetzt fror garantiert keiner mehr und die Stimmbänder waren auch schon mal trainiert.
Die Umbaupause ging relativ schnell vonstatten. Umbau hieß hier ja auch nur, das STORMTROOPERS-Banner zu entfernen und zwei Kränze mit weißen Schleifen aufzubauen, auf denen man schon grob was von „Bleib Tapfer“ und „deine Guten Freunde“ lesen konnte. Und dann, so um etwa 21 Uhr, war es endlich soweit. Nebelschwaden erfüllten die Halle und die erste Reihe des Publikums pustete munter dagegen an. Ein großer, weißer Sarg mit WIZO-Aufdruck wurde von der Band herein getragen und hinter den Kränzen aufgebahrt. Die drei Bandmitglieder waren alle in schicken, schwarzen Bestattungsunternehmerklamotten gekleidet und Axel machte sich, nach der Beweihwässerung des Publikums (mit einer Klobürste…) bereit für eine Ansage voller Trübsal, die aber letztlich nur darauf hinausführen sollte, dass wir uns heute ganz gepflegt „die Ärsche blutig pogen“ sollen. Und schon ging es los mit „Kopfschuss“. Das Publikum tobte bereits jetzt und ich hatte das dumpfe Gefühl, dass sich der brachiale Druck aus dem Hintergrund die nächsten zwei Stunden wohl kaum verringern würde. Niemand war dort im Publikum, der die Texte der Songs nicht auswendig hätte mitsingen können. Und das brachte auch Axel Kurth so manches mal mitten im Song zum Stillschweigen, um sich kurz darauf bei Jörni zu beschweren, dass ihm vorgesagt würde. Bei „Nana“ wurde der Text ein wenig publikumsunfreundlich umgestaltet, nicht das einzige Mal an diesem Abend, dass WIZO wirkten, wie die Amsel über einem Berg Würmer. Dumme Ansagen hatten sie aber wohl schon vor 10 Jahren drauf, und da ich ja nur zugereist war, konnte ich die Sprüche nicht mal persönlich nehmen 🙂 WIZO spielten alles querbeet, „Der lustige Tagedieb“, „Z.G.V.“ und „Chezus“ vom aktuellen Album „Anderster“, aber natürlich auch reichlich Klassiker wie „Gute Freunde“, „Hey Thomas“, „Raum der Zeit“, „Quadrat im Kreis“ und „Kadett“. Auch albenfremde Songs wie „Klebstoff“ oder „Weiter“ wurden zum Besten gegeben und nicht zu vergessen: Der lustige „Käfer“. Es mögen wohl alles in allem etwa 25 Songs gewesen sein, die die Punks dort nicht unbedingt immer fehlerfrei präsentierten, doch forderte das Publikum immer und immer wieder nur eins: „Kein Gerede“. Da dieses ja die Abschiedstour ist, kann man ja auch die letzten Hemmungen fallen lassen und alte Auflagen vergessen: „Kein Gerede“ live und unzensiert (die meisten kennen den zensierten, da angeblich zur Gewalt aufrufenden Song vermutlich nur als „Karaoke-Version“ auf der Scheibe „Bleib Tapfer/ Für’n Arsch“). Das Publikum kochte und spätestens da war ich froh, dass ich eine knappe halbe Stunde vor Ende des Konzerts von den reichlich beschäftigten Security-Männern aus der Menge befreit wurde.
Was direkt vor der Bühne kaum auffiel, da man dort vielmehr damit beschäftigt war, Luft zu kriegen und nicht zerquetscht zu werden, wurde jetzt weiter hinten an den Theken deutlich: WIZO spielten mit einer ziemlich deutlichen Lustlosigkeit. Wäre die tobende Menge nicht so erfrischend gut gelaunt gewesen, wäre ich vermutlich ziemlich enttäuscht um halb zwölf zu den letzten Klängen von „Die letzte Sau“, die ein fantastisch passendes, aber auch traurig machendes Finale des Konzertes darstellte, aus dem Hyde Park gegangen. Doch so werde ich dieses Konzert, nicht nur wegen der zahlreichen blauen Flecken, sicher noch eine ganze Weile in liebevoller Erinnerung behalten. Lebt wohl, WIZO! Mögen eure letzten paar Konzerte mit mehr Spielfreude und Wasser für die ersten Reihen gesegnet sein, eure Fans werden es euch sicher danken!
Copyright Fotos: Stefanie Urban
Hinterlassen Sie einen Kommentar.
Du musst angemeldet sein, um einen Kommentar abzugeben.