Ort: Glauchau - Gründelpark
Datum: 19.06.2004
Ein Blick aus dem Fenster ließ erahnen, worauf wir uns am zweiten Tag einstellen konnten: Regen! So war es auch kein Wunder, dass die Stimmung zu Beginn des zweiten Tages recht lethargisch war. Die Leute standen einigermaßen gelangweilt unter den Bäumen, an den diversen Buden oder schlichen ziemlich fertig (wahrscheinlich aufgrund der Aftershowparty und einer regenreichen Zeltnacht) über das Festivalgelände.
Dies bekam auch die erste Band des Tages, das Kammermusik-Ensemble CHAMBER zu spüren. Nur wenige Unentwegte strotzten mit Regenschirmen bewaffnet den widrigen Bedingungen. Ihnen wurde aber einiges geboten, Marcus Testory und sein Orchester, das u.a. aus 3 Streichern und Kontrabass bestand, lieferten ein erstaunliches Repertoire von klassischen Elementen bis hin zu Irish Folk ab. Schade nur, dass das Wetter nicht mitspielte.
Zufall oder einsehen des Wettergottes? Jedenfalls pünktlich mit Beginn des von vielen Fans ersehnten Gigs von UNHEILIG klärte sich der Himmel auf. Stilistisch mit gewissen Parallelen zu RAMMSTEIN ausgestattet, jedoch weitaus subtiler und intelligenter, legte das Trio ein fulminantes Set hin. „Der Graf“ lebt förmlich die Musik von UNHEILIG (Gestik, Mimik, Küsschen ins Publikum), manchmal hatte ich Angst, dass ihm die Kopfadern platzen würden. Sie wurden frenetisch gefeiert, Songs wie „Die Maschine“, „Sage Ja“ und auch „Freiheit“, dessen Zeile: „Wenn ihr seht, das ihr anders seid, müsst ihr lauter schreien“, ein perfektes Motto für jedes schwarze Festival ist, waren die Höhepunkte eines der Highlights des diesjährigen Woodstage. Ich glaube, in nicht allzu ferner Zukunft dürften UNHEILIG auch zum Sturm auf die Charts ansetzen.
Dann wurde es Zeit für die Könige der Spielleute, der Bühnenaufbau vermittelte schon, dass es musikalisch einige Jahrhunderte zurück ging, CORVUS CORAX mit Sänger „Teufel“ betraten die Bühne, um uns die Sprache und Kultur dieser Zeit näher zu bringen. Es wurde rappelvoll auf der Bühne: 8 Leute mit Schlagzeug, Trommel, Dudelsäcken und sonstigen mittelalterlichen Instrumenten. Auf den ersten Blick ein völliges Chaos, aber phänomenal wie sie einen absolut stimmigen Gig ablieferten und trotz wieder einsetzenden Regens die Menge zum Mitmachen animieren konnten.
Und jetzt ein Zeitensprung, der seinesgleichen sucht: Vom Mittelalter zum C 64 in nur 15 Minuten! Mit WELLE:ERDBALL folgte die für mich größte Überraschung des Wochenendes, im Rahmen von Discoveranstaltungen habe ich „Alf“ und „Honey“ schon oft gesehen, waren für mich jedoch immer nur störendes „Beiprogramm“, hier konnten sie mich restlos begeistern. Zu der Band und ihrem Konzept muss man nicht mehr viel sagen: Retrosynthesizerpop mit einem C 64, auch die beiden Schönheiten im Petticoat stilecht, stilsicher und schön anzusehen. Hits wie „Starfighter F 104 G“, „Elektrosmog“ (das in negativer Weise wohl der dicken „Barbara Salesch“ gewidmet war) ließen den Regen vergessen. Bei „Arbeit adelt“ legte Sänger Honey zuviel Energie an den Tag und der Drumstick wurde zerlegt. Als zu „Schweben, Fliegen und Fallen“ die obligatorischen WELLE:ERDBALL-Ballons durch die Menge flogen, ließen sich auch die ansonsten keine Miene verziehenden Securitymänner von der Stimmung anstecken. Anzumerken sei noch, dass es im Gegensatz zu früheren W:E-Konzerten keinerlei technische Probleme gab, man verbessert sich halt!
THE ETERNAL AFFLICT konnten leider das bis hierhin erreichte Niveau nicht ganz halten, geringeres Interesse und trotz eines routinierten, sehr EBM-lastigen Gigs sprang meiner Meinung nach der Funke nicht komplett über. Zum Abschluss bekam das Publikum, was es laut Sänger Cyan forderte und auch verdiente: „San Diego“, ein Klassiker und Überhit unserer Szene. Ich fühlte mich an einen Spruch erinnert: „Am Ruhm zerbrochen“, irgendwie hat dieser Hit THE ETERNAL AFFLICT zwar unsterblich werden lassen, aber anderseits war er vielleicht auch für immer Fluch und Bremsklotz in ihrer weiteren, nicht immer gradlinig verlaufenden Entwicklung.
THE 69 EYES fanden dann, dass es Zeit für „Rock ´n´ Roll“ wäre, dies betonte Sänger Jyrki jedenfalls in fast jedem zweiten Lied, trotzdem fehlten auch Songs wie „Gothic Girl“ oder „The Chair“ nicht. Ältere „Bretter“ wie „Ghettoway Car“ fehlten jedoch zur Verwunderung mancher Fans. Wir hingegen nutzten die größte Zeit dieses Gigs, um die „Shoppingmeile“ und die Bierbuden einer noch genaueren Betrachtung zu unterziehen.
Um kurz nach 7 leitete ein vielversprechendes Intro aus Sprachsamples und elektronischen Beats den BLUTENGEL-Gig ein. Nach fast ellenlang wirkenden 5 Minuten betraten „Chris Pohl“ und seine 2 Sängerinnen die Bühne. Die Klänge des Songs „Bloody Pleasures“ leiteten ein, worauf wohl der Großteil der vor der Bühne vertretenden Jungs wartete: Eine halbnackte nur mit String und BH bekleidete Schönheit wurde mit Kunstblut übergossen, um sich dann „schleckmäßig“ den beiden Sängerinnen zuzuwenden. Na ja, das ganze begleitet von einem recht dünnen Singsang der Marke „Dieter Bohlen“. Weitere „Hits“ wie „Navigator“ oder „Lovekiller“ folgten, begleitet von diversen Abwandlungen der oben geschilderten Erotik-Szene. Eins muss man Chris Pohl lassen, er versteht es ganz geschickt, die Fans mit seiner Show zu beeindrucken und sie dazu zu bringen, massenhaft seine diversen Produktionen zu kaufen, wer aber Wert auf anspruchsvolle Musik legt, ist bei ihm eher falsch aufgehoben.
Den ganzen Tag über konnte man schon sehen, wegen welcher Band sehr viele Leute hier waren: VNV NATION! Wie bei Electrobands typisch fiel die Bühnendeko sehr spartanisch aus: E-Drums, ein einsamer, etwas deplaziert wirkender Synth und im Hintergrund eine Videoleinwand. Nachdem es sich Ronan am Freitag nicht hatte nehmen lassen, die „Elektrogötter“ von FRONT 242 anzukündigen, revanchierte sich heute deren charismatischer Frontmann R 23 „The new leader of electronica“ anzukündigen, kleiner Gag am Rande, er benutzte dazu die Anfangssamples des 242-Klassikers „Funkahdafi“. Kurze Zeit später enterte Marc die Bühne, frenetisch von der dicht gedrängten Masse begrüßt, und als Ronan Harris die Bühne betrat, kannte der Jubel keine Grenzen mehr und die Party konnte endgültig beginnen. Größtenteils spielten sie Tracks der „Futureperfect“ wie „Epicentre“, „Beloved“, „Electronaut“ oder „Fearless“ aber auch Klassiker wie „Standing“, „Saviour“ oder „Kingdom“ fehlten nicht. Zwischendurch gab es immer wieder Nachfragen von Ronan auf deutsch, ob alles o.k. sei und ob die Fans Spaß hätten… Sie hatten ihn definitiv! Geschickt untermalt wurden die Tracks von den im Hintergrund laufenden Videoprojektionen. Überraschenderweise ging das Konzert ohne Zugabe zu Ende. Auch wenn ich nie ein Fan von VNV NATION war und sein werde (dafür ist mir ihre Musik einfach zu schlicht und ideenlos gestrickt), muss ich sagen, dass Marc und Ronan es verstehen, die Leute anzusprechen und für eine absolute Topstimmung auf ihren Konzerten zu sorgen. Ob dies jedoch reicht, um „zeitlos“ zu werden?
DEINE LAKAIEN waren dann das komplette Kontrastprogramm: Ein Akustik-Set vs. 100 % Synthetik. Man muss zu Ernst Horn und Alexander Veljanov nicht mehr viel sagen: DEINE LAKAIEN sind Deutschlands erfolgreichste Dark Wave Band und werden mittlerweile in einem Atemzug mit THE CURE oder BAUHAUS genannt. Ernst Horn am Flügel und Alexander Veljanovs unverwechselbare Stimme sollten für ein unvergleichliches Konzerterlebnis sorgen. Leider hatten die beiden ihre lieben Probleme mit der Technik: Das Mikro zickte und einige Male wurden die Zuschauer durch ein lautes und hässliches Knacken aufgeschreckt. Trotzdem sorgten Klassiker wie „Love me to the End“ (gleich als Opener), „Dark Star“ und neuere Tracks für ein außergewöhnliches Erlebnis. Leider gab es nur eine Zugabe, das war aber immerhin das brandneue „Over and done“, vielleicht auch weil der gute Alexander ziemlich angenervt wirkte.
Zum Schluss, nach fast 45minütiger Umbaupause und einem beeindruckenden Jubiläumsfeuerwerk, betrat die neue Nummer 1 der deutschen Album-Charts die Bühne: NIGHTWISH. Im Vorfeld gab es leider einige unangenehme Irritationen, den akkreditierten Fotografen wurde es nicht gestattet, den Fotografengraben zu betreten. Begründung: Gleich beim ersten Track „Dark Chest of Wonders“ sollte Pyrotechnik eingesetzt werden. Ob das dramaturgisch notwendig war, die Band aufgrund ihres Erfolges Starallüren bekommen oder einfach nur einen profilierungssüchtigen Manager hat, wird wohl nie ans Licht kommen. Bei WITHIN TEMPTATION durfte man aufgrund von Pyrotechnik auch nur den ersten Song vom Graben aus ablichten, das wäre sicher ebenso bei den Finnen möglich gewesen, sei’s drum. Zum Konzert selbst: Es war ein bombastisches Erlebnis: Im Hintergrund das Cover ihrer neuen CD als Deko und insgesamt sehr „lärmig“, schließlich hat Tuomas Holopainen auf „Once“ wieder weitaus härtere Gitarren eingesetzt. Auch hatte man vorab erfahren, dass die Band viel Neues ausprobieren wollte, dem kann man nur zustimmen, überraschend allerdings, dass vom neuen Album nur 4 Tracks gespielt wurden: „Dark Chest of Wonders“, „Planet Hell“, natürlich die Hitsingle „Nemo“ und als dreizehntes Lied und letzte Zugabe „Wish I had an Angel“, der Rest des Sets war quasi ein Best of/ Querschnitt ihres bisherigen Schaffens, mit Titeln wie „Wishmaster“ oder „The Phantom of the Opera“. Insgesamt ein „multimediales“ Erlebnis aus Gitarren, klarem Gesang von Tarja, zeitweise einem richtigen Gesangsduell mit Marco, Lightshow und Pyrotechnik. An diesem Wochenende hatte man die Gelegenheit die beiden neuen Sterne des Goth/ Power Metals zu sehen. Persönlich fand ich WITHIN TEMPTATION freundlicher und publikumsnäher. Aber entscheidet selbst.
Nach rund 18 Stunden Musik ging nun das Woodstage zu Ende und wir machten uns auf die Heimfahrt. Natürlich ließen wir auf der rund 4stündigen Fahrt alles noch einmal Revue passieren: Sehr positiv fiel uns die Location auf (zwar recht ungewöhnlich – ein Festival mitten in der Stadt!), auch der hohe Anteil deutscher Bands trug sicherlich zur großen Begeisterung und Identifikation der Zuschauer bei, wer an der Intelligenz deutscher Musik zweifelt (Ich sage nur: RTL-Superstars!) hätte das Wochenende auf dem Woodstage verbringen können, um sich vom Gegenteil zu überzeugen. Des weiteren auf der Habenseite: Sehr angenehme Preise (Bratwurst 1,50 Euro, 0.4 l Pils 2,50 Euro). Obwohl das Woodstage sehr gut besucht war, hatten wir nicht den Eindruck, dass es überlaufen sei. Gute und nicht zu viele Verkaufsstände. Negativ anzumerken wäre: Sehr wenige sanitäre Anlagen, FRONT 242 und DAF hatten es nicht nötig sich an den Autogrammstunden zu beteiligen und ein paar technische Schwierigkeiten (Lightshow bei FRONT 242 und die schon erwähnten Probleme bei DEINE LAKAIEN). Trotzdem ein rundum gelungenes Festival, unter dem Motto „Von der Szene für die Szene“, ein echtes Treffen und nicht im entferntesten so kommerzialisiert und überlaufen wie eine bald folgende Veranstaltung… Jederzeit wieder!
Copyright Fotos: Jörg Rambow
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