Ort: Loreley - Sankt Goarshausen
Datum: 17.07.2004 - 18.07.2004
Von allen Festivals im Jahre 2004 ist es sicherlich dem Zillo in seiner zehnten Auflage gelungen, die exklusivsten Gigs an Land zu ziehen: Die beiden Kultbands ALIEN SEX FIEND und SKINNY PUPPY, wegen derer wir uns insbesondere auf die Reise gemacht hatten. Aber trotzdem war noch genügend Zeit und Muße da, um den anderen Bands die nötige Aufmerksamkeit zu schenken.
Bei strahlendem Sonnenschein und hochsommerlichen Temperaturen erreichten wir pünktlich zum Beginn der Helden des etwas härteren Future Pop [:SITD:] die vernebelte Bühne. Sänger Carsten (passend zum Wetter mit Wollmütze) sowie Francesco und Tom (die beiden im Partnerlook: rotes SUICIDE COMMANDO T-Shirt) zeigten dem Publikum gleich beim ersten Track „Lebensborn“, wo der Hammer hängt. Straighter Electrosound, der in die Beine geht. Sehr gut angenommen von den Fans, die überwiegend aus kahlgeschorenen EBM-Freaks bzw. sehr nett anzusehenden Electrogirlies bestanden. Zwischendurch übernahm Keyboarder Tom von Carsten das Mikro, so auch bei „Wake up“, einem PZYCHO BITCH-Stück, wofür sie einen Remix angefertigt hatten. Toms Stimme verlieh dem Stück noch mehr Drive und Tempo, als es bereits beim Original der Fall ist. Ich muss jedoch gestehen, dass ich in diesem Moment lieber die laszive SINA gesehen hätte. Mit ihrem größten Hit „Snuff Machinery“ ging der Auftritt zu Ende. Für den letzten, der sich noch fragt: Die Samples stammen aus „8MM“ mit Nicolas Cage.
Danach wurde es Zeit für eine Band, deren CDs sogar in Birma verkauft werden, die schon in Israel aufgetreten sind und so nebenbei mit dem Zillo großgeworden sind: DAS ICH. Für mich eine der besten Livebands überhaupt, zwischendurch fragten wir uns, wie ihr Auftritt wohl einige 100 km östlich von Israel angekommen wäre… Der Bühnenaufbau war altbekannt: Links und rechts die schwenkbaren Synthesizerarme, deren Enden von Bruno (allein seine Frisur würde potenzielle Schwiegermütter schon zu Tode erschrecken) und Kain eingenommen wurden und – wie sollte es anders sein – die Vocals lieferte Stefan Ackermann (rot angemalt). Wie immer beweglich wie ein Gummimensch trug er die Hits des Trios vor: „Kain und Abel“, „Gottes Tod“ oder „Sodom und Gomorra“. Letzterer – so geil wie er auf CD klingt – ist live leider noch nie so richtig rübergekommen. Die Tracks waren wie immer sehr hart und elektronisch, einzig die beiden neuen Songs „Fieber“ und „Sehnsucht“ wirkten etwas „klassischer“.
Während DAS ICH mit ihrem Programm einen guten Querschnitt ihres Schaffens ablieferten, scheint Johan van Roy aka SUICIDE COMMANDO nicht so viel von seiner musikalischen Vergangenheit zu halten. Eine interessante Neuerung gab es jedoch: Livedrums, mit tatkräftiger Unterstützung von Beam (FEINDFLUG). Zuerst hatten wir allerdings gemutmaßt, dass die Drums gar nicht angeschlossen wären. Nach einigen Tracks musste man aber konstatieren, dass diese Art Schlagwerk eine interessante Spielart waren, die Songs kamen organischer rüber. Wie gesagt, es wurden fast ausschließlich Stücke der „Axis of Evil“-Scheibe geboten: „Cause of Death: Suicide“, „Sterbehilfe“ oder „Evildoer“, des weiteren ein Cover seiner Helden THE KLINIK („Sick in your Mind“), der Sänger dabei gefesselt in einer Zwangsjacke. Johan hüpfte wie immer in die Höhe oder parkte einen seiner Füße auf der Frontbox. Warum er aber alte Reißer wie z.B. „Murder“, „Desire“, oder „Necrophilia“ so beharrlich ignoriert, wird mir ein Rätsel bleiben. Mich hat der Auftritt wahrlich nicht vom Hocker gerissen, vielleicht habe ich SUICIDE COMMANDO einfach nur zu oft gesehen. Nett war noch der Hinweis auf den schwer verletzten Marco der spanischen Kollegen DIOXYDE, der seit einem Motorradunfall auf der Intensivstation liegt und dem ein Song gewidmet wurde.
Nach fast 3 Stunden purer Sonne gönnten wir uns eine Pause und ließen LONDON AFTER MIDNIGHT nur akustisch im VIP-Bereich über uns ergehen. Das einzige, was auffiel: Wurde dieser Gig wirklich mit „Sieg Heil“-Rufen eingeleitet, oder haben wir uns verhört?
So gegen 20 Uhr bewegten wir uns langsam wieder in Richtung Bühne. Allerdings nicht um die Plastikpopband BLUTENGEL zu sehen – da hat mir der Woodstage-Auftritt schon gereicht -, sondern weil ich die große Ehre hatte, einem Interview mit einer Ikone der härtesten elektronischen Musik beizuwohnen: Nivek Ogre! Während wir vor dem Backstagebereich warteten, sind mir 2 Dinge aufgefallen: Erstens, der Himmel verdunkelte sich immer mehr, es schien so, als ob jeden Moment die Welt untergehen würde und kurze Zeit später ging ein gewaltiger Gewitterregen nieder. Zweitens musste ich feststellen, dass manche Leute wirklich krank im Kopf sind. Eine Mutter spielte mit ihrer nicht mal dreijährigen Tochter und hatte sie fürs Festival „fein“ herausgeputzt: Lackmini und Strapse! Normalerweise ist meine Maxime, dass jeder machen soll, was er will, aber hier fragt man sich echt, was in so einem Menschen vorgehen muss. Man konnte noch erfahren, dass die Polizei darauf auch schon aufmerksam gemacht wurde, die interessierte das aber anscheinend nicht. Das Interview wartete und alle Aufregung bringt ja eh nichts. Also rein in den Backstagebereich. Das Ergebnis des Interviews könnt ihr natürlich auch bei uns in der entsprechenden Section nachlesen.
Nachdem BLUTENGEL die Gelüste der überwiegend jugendlichen Fans befriedigt hatten, wurde es nun Zeit für eine Band, die es schon seit Urzeiten gibt: ALIEN SEX FIEND. Wie immer war die Bühne äußerst einfallsreich dekoriert. Plastikspinnennetze, Schaufensterpuppen ohne Arme, Mrs. Fiend hinter den Drums und Synths, sowie ein Gitarrist, der gewisse Ähnlichkeiten mit Leatherface aus „Texas Chainsaw Massacre“ hatte. Die Setlist bestand nur aus alten Klassikern wie „E.S.T“, „Catch 22“ oder „Now I´m feeling Zombiefied“. Diese waren ein Leckerbissen für die zahlreichen Fans, die sich nach dem großen Regen wieder vor der Bühne versammelt hatten. Auf die neueren Werke wurde komplett verzichtet, sie kamen auch nie wirklich gut bei den Fans an. Und es war tierisch laut, wir sahen uns den Auftritt in der Nähe der Imbissbuden an, aber trotzdem dachte ich, Nik würde direkt in meinem Trommelfell spielen. Allerdings wurde man den Eindruck nicht los, dass der gute Mann ein wenig unmotiviert zur Sache ging, er schlich recht träge über die Bühne. Auch hatten die Tracks nicht mehr den Speed früherer Jahre. Vielleicht haben ihn fast 25 Jahre Touren, Produzieren und Feiern auch einfach müde werden lassen.
Um 23:40 begann das Set der kanadischen Elektrolegende SKINNY PUPPY und obwohl die neue CD für mich einem musikalischen Offenbarungseid gleichkam, hätten selbst 40 Grad Fieber mich nicht davon abgehalten, diesen Auftritt zu verfolgen. Die Reaktionen in den US-Fanforen waren auch überschwänglich bis überwältigend, daher konnte nichts schief gehen.
Die Bühne verdunkelte sich, über den Boden waberte Kunstnebel und zu den Klängen von „Epilogue“ konnte man auf der Leinwand den Lauf der Gezeiten im Zeitraffer verfolgen. Kevin aka cEvin platzierte sich hinter seinen Drums und zwei weitere Musiker (u.a. Niveks WG-Kumpel Mark Walk) konnte man in dem immer stärker werdenden Nebel nur schemenhaft erahnen. Der Bühnenaufbau wirkte sehr reduziert, was aber nicht weiter schlimm war. Bei „dOwnsizer“ konnte man das erste mal Niveks Stimme vernehmen, er ließ sich jedoch noch nicht auf der Bühne blicken. Dann brandete Jubel auf: In einem Kostüm, das an das Pyramidenkopfmonster aus „Silent Hill“ erinnerte und mit Krallen im „Freddy Krüger“-Stil enterte er die Bühne, wie immer mit mehr Geschrei als Gesang. Im Hintergrund Bilder, die einem so schnell nicht mehr aus dem Kopf gehen: Geschundene Körper, tote Kinder, Pentagramme, Judensterne sowie eine diabolisch grinsende Figur, die in Flammen stand.
Wie für mich ging wie wohl für die meisten Leute das Konzert mit „Gods Gift (Maggot)“ richtig los. Hier fehlten nur noch Arztkittel, Fleischermesser und ein Hund auf dem Op-Tisch. Bis auf „Neuwerld“ liefen nur noch alte Schätze: Gänsehaut pur, diese Stücke live zu erleben. Darum ist es auch schwer einzelne Tracks hervorzuheben: „VX Gas Attack“ z.B. wirkt hochaktuell (ursprünglich zu Zeiten des Iran-/ Irakkrieges entstanden und eine Parabel dieser Schlacht sowie Niveks eigener Drogensucht), bei Betrachtung der Videoanimationen dürfte jedem klar gewesen sein, um was es geht: Kurze Fetzen explodierender Raketen, aktuelle Bilder aus dem Irak, verstümmelte Leichen, sowie in Addition dazu Einspielungen von drei Massenmördern (Adolf Hitler, George Bush Jr. und Osama Bin Laden) waren ein deutliches Statement.
Als Übergang zwischen einigen Stücken wählten SKINNY PUPPY die Anfangssequenzen ihres Songs „Fritter (Stella’s Home)“. Befürchtungen, dass alles nur nach „The greater wrong…“ klingen und die Kanadier somit „lahm“ wirken könnten, waren unbegründet. Trotz eines Live-Gitarristen und einer klanglichen Anpassung hat jeder Track die alte Klasse bewahrt. Auch Ogre tobte wie in besten Zeiten über die Bühne, inkl. Blutdusche für die ersten Reihen und die Security. Ebenfalls sehr geschickt: Auf der Bühne waren Videokameras installiert, deren Bilder teilweise in das laufende Videomaterial eingefügt wurden, dadurch entstand der Eindruck, als ob Ogre sich durch ein surreales Videogame bewegen würde. Als mit „Human Disease“ und „Harsh Stone White“ noch zwei Tracks meiner Lieblings-CD „viviSECTvi“ gespielt wurden, hatte das Ganze endgültig etwas Mystisches für mich. Der letzte Track „Reclamation“ bot noch einmal eine der SP-typischen theatermäßigen Inszenierungen. Ogre zog ein gelbes „POLICE LINE – DO NOT CROSS“-Band über die Bühne, fesselte den Gitarristen damit, fiel zu Boden, um dann wie ein Irrer irgendwelche nicht zu entziffernden Zeichen auf den Boden zu verewigen. Nach lautstarken Zugaberufen folgte noch einer der alten Hits („The Choke“). Auch wenn die letzten Veröffentlichungen nie mehr an die Klasse der Frühwerke heranreichen konnten, live gehören SKINNY PUPPY immer noch zum Verstörendsten, was das Musikbiz zu bieten hat. Allein Ogres diabolisches Grinsen, gegen welches das von Jack Nicholson in „Shining“ wie ein netter Flirtversuch wirkt, ist den Eintritt wert.
Einziger Wehrmutstropfen dieses Superfestivals: Obwohl die Loreley wahrscheinlich die schönste Bühne für ein Konzerterlebnis ist, war sie bei einem Event dieser Art eher unpassend. Durch die Anlage in Art eines Amphitheaters war an übermäßige Bewegung oder gar Pogen wegen der hohen Sturzgefahr gar nicht zu denken.
Sonntagmittag nach einem dieser heftigen Unwetter schafften wir es noch pünktlich zum Beginn von SCHANDMAUL auf das Festival-Gelände. Die Formation war mir bis dahin nur vom Namen her ein Begriff, da einige Bekannte auf ihre Musik stehen. Also ließ ich mich einfach mal überraschen. Was gleich auffiel, war, dass die ganze Band vor guter Laune nur so strahlte, so stand sie in direkter Konkurrenz zur Sonne, die sich mittlerweile durch die Gewitterwolken gearbeitet hatte. SCHANDMAUL haben es geschafft, ihre Anhängerschaft und sicherlich auch einen großen Teil neuer Fans mit ihrer Mischung aus Mittelalter-Rock-Folk-Pop zu aktivieren und mitzureißen. Das Publikum dankte es mit einer ebenso guten Laune. Es war wirklich erstaunlich, dass die düstere Menge mitten am Nachmittag derart abging. Kleines Manko war hier auch nur das Festivalgelände an sich – an Pogen und Tanzen war bei den Steinstufen leider nicht möglich. Aber man hatte wenigstens von überall einen hervorragenden Blick auf die Bands.
Nach einer kurzen Umbaupause, in der es wieder leicht anfing zu tröpfeln, fingen DAF an – die Band, die für mich persönlich die wichtigste am Sonntag sein sollte. Purer, monotoner Elektrosound und provokative, gleichzeitig minimalistische Texte – mit einem zum Teil doch recht trockenen Humor. Wie sagte der Ansager vom Zillo? Wenn man erst einmal gecovert wird, dann hat man es geschafft. Diesem Sinnspruch wird DAF mehr als gerecht. Manche ihrer Lieder kennt man fast eher als Coverversion, denn im Original selbst. Gaby Delgado und Robert Görl boten Klassiker und neuere Stücke gleichberechtigt dar und man konnte nicht wirklich einen Unterschied zwischen alt und neu entdecken. Großartige Stiländerungen waren nicht erkennbar. Lieder wie „Tanz den Mussolini“, „Alle gegen alle“, „Als wär’s das letzte Mal“, „Kinderzimmer“ und andere reihten sich nahtlos aneinander. Anfangs machte es mir noch große Freude – gegen Ende war es mir dann alles in allem doch etwas zu monoton und langweilig. Auch die Show war längst nicht so gut wie auf dem WGT vor einem Jahr.
Und so war ich dann auch nicht böse, als sich auch dieses Konzert dem Ende zuneigte und wir unsere Heimreise antraten. Schließlich hatte ich an diesem Wochenende SKINNY PUPPY sehen dürfen – das war das wichtigste überhaupt.
SETLIST DAS ICH:
Kindgott
Der Schrei
Kain und Abel
Sodom und Gomorra
Fieber
Sehnsucht
Gottes Tod
Destillat
SETLIST ALIEN SEX FIEND:
EST
Smells like shit
RIP
I walk the line
Get into it
Catch 22
Now I´m feeling Zombiefied
Bun-Ho!
Ignore the Machine
SETLIST SKINNY PUPPY:
Epilogue
dOwnsizer
I´mmortal
Pro-test
EmpTe
Curcible
Gods Gift (Maggot)
VX Gas Attack
Worlock
Neuwerld
Glass Houses
Tin Omen
Inquisition
Hardset Head
Human Disease (SKUMM)
Harsh Stone White
Reclamation
The Choke
Copyright Fotos: Anke Borgert/ Katarina Mazurkiewicz ([:SITD:], BLUTENGEL)
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