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MIA. - Tacheles

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Artist MIA.
Title Tacheles
Homepage MIA.
Label ISLAND/ UNIVERSAL
Leserbewertung
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2.9/10 (56 Bewertungen)

Einfach mal Tacheles reden, seine Befindlichkeiten offen legen, die Welt teilhaben lassen am Gefühlsleben. Für MIA.s Mieze stellt ein Seelenstriptease kein Problem dar, ist sie doch nicht gerade für Introvertiertheit bekannt. Das spaltet eine Nation von Hörern und Kritikern, laute Menschen sind nicht immer beliebt. Die Musik der Berliner hingegen begeistert mich seit dem 2004er Werk „Stille Post“, das einige veritable Hits enthielt, die beiden Nachfolgealben konnten das Niveau zumindest über weite Strecken halten. Nun also „Tacheles“, das fünfte Rad am Wagen, das bereits wieder sehr erfolgreich charten konnte, wie man so schön neudeutsch sagt. Die Single „Fallschirm“ erreichte mit Platz 11 gar die bisher beste Position ever. Dennoch polarisiert der „neue“ Sound, und das nicht etwa, weil die Mieze-Maus neuerdings Gefallen am Fechten gefunden hat. Wobei das ja eigentlich eine perfekte Brücke zum Debüt „Hieb & Stichfest“ baut, die auch stilistisch vorliegt: Hat doch der elektronische Anteil wieder die eindeutige Dominanz übernommen.

Nun aber genug schwadroniert, rein in die Emotionen. Der eröffnende „Sturm“ gibt sich überaus sperrig, auf Synthie-Seifenblasen verweigert man sich offensichtlichen Melodien und erschwert so den Einstieg immens. Die Rettung naht in Form des oben angesprochenen „Fallschirms“: Mit Clap Clap-Rhythmus und typischem MIA.-Refrain, der trotz all der Eingängigkeit immer noch ein paar Fallstricke bereithält. Den Gesang muss man mögen, das Gedehnte, wenn ein „Määäääädchen keines määääääähr“ ist und die Wortende-Konsonanten ausführlichste Betonung erfahren. Inhaltlich zieht sich die Liebe durch die 11 (plus 1 Bonustrack, dazu später mehr) Kompositionen, mit all ihren Facetten: Leidenschaft, Höhenflug, Verlust, Melancholie. Das Ganze immer dramatisch aufbereitet, manchmal auch drastisch. Wie aus dem Tagebuch einer Pubertierenden abgeschrieben, las ich irgendwo im Netz. Kann man so stehen lassen, stört mich aber nicht, ist wenigstens konkreter als dieser ganze SILBERMOND-Dreck. Das Politische findet 2012 nicht statt, über den „Ökostrom“ ist alles gesagt. Dafür weitere Highlights: „Aufruhr“ und „Immer wieder“ perlen nach mehreren Durchgängen vorzüglich, überhaupt sollte man „Tacheles“ einige Rundläufe gönnen, bevor sich das wahre Potential offenbart. Das gilt meistens, hier aber ob der etwas eigentümlichen Sounds ganz besonders. Die Gitarren schweigen fast durchgängig, dafür naiv-charmante Retro-Synthies allerorten. Mal sehen, ob live dann wieder mehr gerockt wird. Manches nervt auch, wie das abschließende „La Boom“, zu dem man keinen Zugang finden mag. Dann aber der Bonus, der es lyrisch auf die Spitze treibt und ROSENSTOLZ ein paar Karohemden-Mädels kosten könnte. „Die Frau“ beschreibt die Liebe zu eben jener und plädiert im Grunde für die absolute Wahlfreiheit der Geschlechter, solange wir alle ganz viel Spaß daran haben. Ist das autobiographisch, fragt man sich unwillkürlich? Nicht ganz unwahrscheinlich bei so einer verqueren Fronterin, die Umsetzung schwankt zwischen Trash und nonchalantem Charme.

Man könnte den nicht ganz so regelkonformen Umgang mit der deutschen Sprache geißeln, das Prätentiöse im Umgang mit der Privatsphäre, eine Art libidonöse Bohème. Aber verdammt noch mal, „Tacheles“ macht über weite Strecken einfach Spaß, auch weil man sich den Zugang erst erarbeiten muss und das Ergebnis trotz eher simpler Zutaten erstaunlich komplex ausfällt, gerade im Vergleich zur innerdeutschen Konkurrenz. Für ein 5tes Album mehr als respektabel und nah am Puls der Zeit.

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