
Artist | NO MORE |
Title | Kissin‘ The Blue Dark |
Homepage | NO MORE |
Label | RENT A DOG |
Leserbewertung |
Vor gut 40 Jahren haben NO MORE mit „Suicide Commando“ einen Indie-Hit geschrieben, nach dem 1986 der Belgier Johan van Roy sogar seine Industrial-Combo benannt hat. Ungefähr zu dieser Zeit haben sich allerdings NO MORE aufgelöst, 2008 fanden die beiden Gründungsmitglieder Andy A. Schwarz (Gesang, Gitarre, Bass) und Tina Sanudakura (Synthesizer) jedoch wieder als NO MORE zusammen, nachdem sie zwischenzeitlich als NIJINSKY STYLE Chanson, Walzer und Tango gemacht haben. Mit dem Dancefloor-Filler „Turnaround“ sorgen sie seit 2015 wieder für volle Wave-Tanzflächen und mit dem 2012er „As Is Well – Senza Macchia“ steuerten NO MORE in einem Dortmunder Tatort die angenehm unterkühlte und durchaus existenzialistische musikalische Untermalung bei. Nicht vergessen wollen wir neben den verschiedenen Studioalben und der Anthologie „Love, Noise & Paranoia“, die 2019 anlässlich des 40. NO-MORE-Bestehens veröffentlicht wurde, die Cover-Compilation „The End of The World“, mit der das Kieler Duo mühelos eine Brücke zwischen LEE HAZLEWOODs „Sommer Wine“ und XMAL DEUTSCHLANDs „Eisengrau“ schlägt.
Jetzt hat das Doppel-Album „Kissin‘ The Blue Dark“ das Licht der Plattenläden erblicht und erfreut die geneigte Hörerschaft mit insgesamt 29 Songs. Den Namen der Platte haben sich Schwarz und Sanudakura eines Textes von LANA DEL REY entliehen und auch wenn die Dame ihre omnipräsente Sadness musikalisch etwas anders zum Ausdruck bringt, passt sie doch auch recht gut in das düstere Gesamtbild von NO MORE, die in ihrem Titeltrack für ihre Verhältnisse fast schon gut gelaunt über Liebe, Lust und Verlust referieren. Zuvor sorgt der Opener „Berlin Soul“ für poetischen Post-Punk-Realismus, der ein wenig an den frühen DAVID BOWIE denken lässt, bevor die Spoken-Word-Nummer „Keep It Cool“ oder auch das straighte „Sleepers And Trains“ zum Tanze bitten und „Paris Blue“ zum elegischen Highspeed ansetzt. Ganz anders „A Happy Place“, das in betonter Slow-Motion an einen traurigen Choral erinnert. Dank „All The Dark That Shines“ mündet eine albtraumhafte Nacht schließlich in einem hellen Morgen. Mitunter groovt es bei NO MORE sogar ganz entspannt (vgl. „It’s So Easy To Get Lost“) oder es wird temporeich geschrammelt („Adrift“). Mich haben Andy und Tina insbesondere mit den Songs, die ein wenig geheimnisumwittert wirken (bestes Beispiel: „Painting Flowers In The Dark“). Richtig ans Eingemachte geht es allerdings mit dem düster-geisterhaften „You Have To Paint It“, der ähnlich wie „Valentina“ das mit einem schweren Rhythmus und orchestralen Bläsern daherkommt, für einen fließenden Übergang zum zweiten Silberling sorgt.
Nachdem die erste CD ‚Blue‘ die blauen Stunden gefeiert hat, finden wir uns hier im ‚Dark‘ wieder. Es beginnt eine Wanderung durch die Nacht, die geisterhaft, spooky, wie in Trance und taumelnd verläuft. Fast gänzlich auf Gesang verzichtet (eine Ausnahme stellt das flirrende „The Sun, Henriette, The Sun“ dar), wähnt man sich mal in einem wirren Fiebertraum („Harmonic 1973, „The Nightly Runner“, „Old News Is Good News“), fluiden Untiefen („Descending“, „Floating“, „All’Ombra Dei Pini“), kontemplativen Meditationen („Chateau d’Hérouville“, „A.E.S.“, „The Woman In White“) oder einer rasanten Fahrt durch die Nacht („V“, „Words, Vows, Gifts And Tears“, „The Night Still Holds Temptation“). Das finale „First Light“ schafft es gar, mit elektrischen Störgeräuschen, einem sanften Piano und einer melancholischen Melodie, dafür zu sorgen, dass irgendwie alles gleichzeitig passiert.
Da ich Andy A. Schwarz Stimme, die crooned, erzählt, flüstert und Tremolo und Vibrato mitbringt, sehr schätze, gefällt mit die ‚Blue‘-Variante von „Kissin‘ In The Blue Dark“ besser, aber auch ‚Dark‘ überzeugt mit einem ungeheuren Abwechslungsreichtum und einem großartigen düsteren Facettenreichtum, sodass NO MORE auch heuer nicht nur eine uneingeschränkte Empfehlung an die Fans der frühen Tage sind, sondern schlicht an alle, die auf New Wave und Post Punk stehen und es durchaus auch mal etwas experimenteller mögen.
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