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VAN LANGEN - Zeychen der Zeyt

VN:F [1.9.22_1171]
Artist VAN LANGEN
Title Zeychen der Zeyt
Homepage VAN LANGEN
Label TOTENTANZ
Leserbewertung
VN:F [1.9.22_1171]
8.3/10 (6 Bewertungen)

Manchmal muss man sich mit einem Album richtig herumschlagen, bis man sich eine halbwegs tragfähige Meinung dazu gebildet hat. VAN LANGENs vorliegende Publikation „Zeychen der Zeyt“ ist so eine harte Nuss. Wenn ich ehrlich bin, kann ich auch nach dem vierten Hören noch nicht wirklich sagen, ob es mir als Ganzes gefällt oder nicht. Zwei uneingeschränkte Daumen hoch für die instrumentale Seite und Sabine Stelzers Stimme, aber an der B-Note habe ich doch einiges abzuziehen. Zunächst die Formalia: Als erstes fällt das pompös-düstere Artwork des Booklets ins Auge. Möglichst kleine Schrift, pseudo-archaisierender Gebrauch von überflüssigen „Ypsilons“ im Albumtitel, Bilder von den Musikern, einer Motte, einem Käfer und Grabsteinen in ordentlich gruftigem Schwarz-Weiß. Schon jetzt steht fest: Medieval Gothrock soll’s sein, bitteschön. Daran hält sich VAN LANGEN konsequent – Anhänger dieser Sparte werden die CD sicher feiern. Ein kritischer Blick bleibt am Bandfoto hängen. Soll das wirklich ein angedeuteter Heiligenschein über Marcus van Langens Kopf sein? Wirklich? Ist das Humor? Oder soll der Heiden-Halbmond, der die Stirn von Sabine Stelzer ziert (die sich wiederum abwendet und dennoch den Strahlenkranz um des Sängers Stirn berührt), ein Kommentar zu jener kalten Christusfigur im Bildzentrum sein? Wenn das alles beabsichtigt ist und einen Diskurs hervorrufen will, dann ist es hintergründig, schlau und angesichts des Vorworts im Booklet, auf das ich noch zu sprechen komme, reichlich verwirrend, hat aber auch einen leicht arroganten Touch – sorry. Wenn nichts davon beabsichtigt ist und es sich schlicht um eine lustvoll-fröhliche Provokation von dummen Kritikerinnen wie mich handelt, dann frage ich mich doch: Warum versuchen die Mundwinkel aller fünf Abgebildeten dann, im Papst-Stil den Boden zu küssen, ohne dass die dazugehörige Person sich bückt? Muss man so cool sein, um sich Künstler zu nennen? Beim Durchblättern fällt aber auch auf, dass Asis Nasseri und Michael Stapf von HAGGARD als Gastmusiker dieses Album schmücken. Das veranlasst mich, dem Album eine ordentliche Portion Vertrauensvorschuss zu gewähren – bisher kannte ich VAN LANGEN nicht, aber HAGGARD steht für Qualität. Leider sind Nasseri und Stapf nur am ersten Song beteiligt.

Während ich die CD in den Player lege, lese ich mich am Vorwort Marcus van Langens fest. Weil es so sorgsam formuliert ist, soll es hier in Auszügen zitiert werden (fehlende Kommata wurden stillschweigend ersetzt): „Wenn mehrere gute Köpfe gleichzeitig auf die selbe Idee verfallen, so ist damit bewiesen, dass es sich nicht um subjektive Spekulationen handelt, sondern um eine objektive Erkenntnis.“ [Habe ich schon erwähnt, dass bei so kleiner Schrift meine Augen zu tränen beginnen?] […] „Bringt man die Kunst der Musik, die ganz ein Teil des Willens ist, auf das Gebiet wissenschaftlicher Erkenntnis, so büßt sie dort ihre beste Kraft, die instinktive Entscheidung und Unbefangenheit ein. Ganz anders als der Musikwissenschaftler denkt und fühlt der Musiker. [Wuah. Vermutlich ist hier gemeint, dass der Musiker im Gegensatz zum Musikwissenschaftler beides kann, während der Musikwissenschaftler nur denkt. Steht da aber nicht. Da steht, dass der Musikwissenschaftler weder denkt noch fühlt. Oder aber, dass der Musikwissenschaftler eben ganz anders denkt und fühlt als der Musiker. Was denn nun? Eindeutiger bitte. Kunst hin oder her, aber Grammatik ist lernbar.] Er kann aus Nichts Neues und aus Altem Lebendiges nur erschaffen, wenn er seine Wahl trifft und rücksichtslos ablehnt, was seine Triebe hemmt. […] Es ist mehr seine Pflicht, als sein Recht, bestehende Formen und Stile zu seinem eigenen Zweck zu ändern und umzugestalten, sofern sein Verfahren zu etwas Neuem führt.“

Nun, in all dem – wiederum: sorry – hochtrabenden Gerede haben wir hier zumindest indirekt eine Beschreibung des Albums: Man nimmt mittelalterliches Liedgut und formt es um, auf dass es gut, gleichbedeutend mit „neu“, sei. Und siehe da, es war – ja, was nur? Einmal ganz davon abgesehen, dass „neuer“ nicht immer „besser“ heißt, ist hoffentlich die Frage gestattet, warum das, was VAN LANGEN da macht, neu ist? Ich brauche die Namen derjenigen wohl nicht zu nennen, die sich schon an „All voll“, dem „Palästinalied“, „Des Geyers schwarzer Haufen“, „Unter den Linden“ und „Ai vis lo lop“ (um nur die bekanntesten Stücke zu nennen) ausgetobt haben. Sie sind Legion. An diesem Punkt meines Meinungsbildungsprozesses schalte ich „Zeychen der Zeit“ endlich ein, bereits belastet mit einigen schweren Einwänden.

Lässt man all diese Stolpersteine weg und hört nur zu, dann muss gerechterweise eines bemerkt werden: Verdammt noch mal, das sind gute Musiker. Marcus van Langens Gesang verdient diesen Namen zwar nicht. Er kann das „R“ passabel böse rollen. Aber an der Teufelsklampfe und den Gitarren leistet auch er Beachtliches. Stelzers Stimme ist stark, charakteristisch und voll. Gegen Bernd Intveen an der Gitarre ist eben so wenig etwas vorzubringen wie gegen Tobias Andre Lang am Bass und Percussion-Mann Ralf Gruber. Natürlich bleibt die Frage wichtig, was man aus seinem Können macht. Und da kommen die 13 Songs auf „Zeychen der Zeyt“ ins Spiel.
Ich verliebe mich auf Anhieb in „Zeychen der Zeyt“, als das Flötenintro mit dem bekannten Saltarello aus dem 14. Jahrhundert als Motivlinie erklingt. Auch, als die Gitarren dazu kommen, bin ich noch wohlgestimmt. Aber meine Liebe zerbricht mit dem Einsetzen der Vocals, trotz der HAGGARD-Beteiligung. Es wird „Wir sind Zeichen der Zeit, wir sind Kinder der Nacht, bis der Morgen erwacht“ gegrölt. Das Stück klingt nach DER FLUCH und soll an die finstere Seite des Mittelalters erinnern. Die Absicht ist schön und gut, aber der Song ist doch recht arm, vor allem als namensgebender Opener. Viel, viel besser ist „Avrix mi galanica“, weil Stelzer singt. Dieser Song ist krachend, temperamentvoll und mitreißend. „Siechentrost“ auf der 3 ist nicht besonders aufregend, und die Warnung „Denn die Hölle ist für immer“ im Refrain lässt mich kalt. Ich klicke weiter. Und wieder empfängt mich ein ganz hervorragend gesetzter Liedanfang bei „Miri it is while summer ilast“, leichtfüßig und ungezwungen. Im Refrain setzen natürlich die unvermeidlichen E-Gitarren ein, und vorbei ist es mit dem Charme des Songs. Allerdings dürfte er live ein Stimmungsmacher sein. Track 5, „All vol“ beginnt geradezu poppig, aber hier singt wieder Marcus van Langen. Wer weniger Probleme als ich mit seiner Stimme und Art zu singen hat, könnte diesen Nackenschüttler wohl genießen. Was mich aber wirklich überrascht, ist Lied 6, „Beltane“, den hier gefällt mir Marcus van Langens Beteiligung, nicht nur im Refrain, sondern sogar in der Strophe, denn er versucht nicht, cool zu grunzen oder Sprechgesang zu produzieren. „In deinem Arm, geborgen, warm…“ Ich will mitsingen. Ein großer Pluspunkt für „Zeychen der Zeyt“. Bei Track 7, „Yana“, darf „gechillt“ werden. Dann wird es spannend: Trägt die Palästina-Version auf Platz 8? Bis zur fünften Minute bleibt die Darbietung kraftlos. Außerdem mag ich die abgehackten Betonungen der Verse nicht. Nach dem erlösenden Gitarrenriff kommt endlich Bewegung in die Sache. Aber für meinen Teil ist der Song hier seiner würdevollen und zugleich demütigen Grundhaltung beraubt. Nach der sehr partytauglichen Interpretation von „Des Geyers schwarzer Haufen“ (das rockt höllisch) hetzt VAN LANGEN auf Platz 10 lieblos durch „Unter der Linden“. Warum findet sich hier nichts von der Zärtlichkeit aus „Beltane“ wieder? Ich bin enttäuscht, dafür will ich bei „Ai vis lo lop“ sofort meine Schuhe ausziehen und tanzen. Mittelalter-Punk! Ein echtes Wechselbad der Gefühle, denn es folgt ein Merseburger Zauberspruch als zwölftes Lied, anfangs sehr ruhig, sehr sanft, durchgehend sehr schön. Nach „Ai vis lo lop“ wirkt das Ganze wie ein Schlag mit einem Hammer vor die Stirn. Der Rausschmeißer, „Por que Ilorax“ ist mit seinen 9.07 Minuten zu lang und strengt beim Hören ziemlich an.

Zusammengefasst: Was auch immer man vom Artwork und der Attitüde dieser Combo halten mag, VAN LANGEN kann mich verblüffen, erfreuen und ganz fürchterlich ärgern, und das sind alles Merkmale einer bemerkenswerten und erinnernswerten Band.

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