
Artist | VÍKINGUR ÓLAFSSON |
Title | From Afar |
Homepage | VÍKINGUR ÓLAFSSON |
Label | DEUTSCHE GRAMMOPHON |
Leserbewertung |
Seinen Helden soll man nicht begegnen, heißt es. VÍKINGUR ÓLAFSSON, mit über 400 Millionen Streams einer der erfolgreichsten klassischen Künstler unserer Zeit – gefeiert von der Kritik, begeistert aufgenommen vom Publikum, würde da vermutlich widersprechen. Sein Treffen mit dem 95-jährigen GYÖRGY KURTÁG im September 2021 machte ihn »leicht und froh«, und es ließ ihn an die Musik denken, mit der er aufgewachsen ist. Nun legt der isländische Pianist ein neues Album vor. Ólafsson nennt es „From Afar“ nach Kurtágs „Aus der Ferne“, denn es ist eine Hommage an den ungarischen Komponisten und zugleich eine Rückkehr zu seinen eigenen musikalischen Wurzeln. »Es ist persönlicher als meine bisherigen Aufnahmen«, sagt er. »Denn es hat eine tiefe Verbindung zu meiner Kindheit und würdigt einen Komponisten, der mir außerordentlich viel bedeutet.« Es war Ólafssons Vater, der ihm in den späten 1990er-Jahren Kurtágs Musik ans Herz legte. Durch die Kafka-Fragmente entdeckte der junge Pianist »eine intensive, genau kalkulierte Expressivität, teils Musik, teils Dichtung, teils archaische Gestik«. Doch mehr als zwei Jahrzehnte sollten verstreichen, bevor sich für ihn bei einem Konzert in Budapest die Gelegenheit ergab, Kurtág persönlich kennenzulernen. Die beiden Musiker verstanden sich auf Anhieb. »Am Ende waren zwei Stunden vergangen, die mir wie 15 Minuten vorgekommen waren«, sagt er.
Weil er nicht die richtigen Worte fand, um GYÖRGY KURTÁG zu danken, suchte Ólafsson stattdessen nach der richtigen Musik. »Mir kam so etwas wie eine musikalische Landkarte in den Sinn mit einigen seiner Miniaturen als Kompass«, sagt er. »Und dann dachte ich an die Musik, die ich als Kind geliebt habe, und mir wurde klar, dass es eine starke Verbindung gibt zwischen ihr und Kurtágs Ästhetik.« Und Ólafsson wagt ein Experiment: Er hat nicht nur eine, sondern zwei Aufnahmen gemacht von diesem Repertoire, das von Bach bis Adès reicht und auch Werke von Kurtág vorstellt. Für die erste Aufnahme setzte er sich an einen Steinway-Konzertflügel, für die zweite an ein Klavier. Zwei überraschend unterschiedliche Klangwelten sind zu entdecken, die jedoch gemeinsam haben, das sie auf das Wesentliche (sprich: das Tasteninstrument) reduziert wurden. Ólafsson entschied sich für Stücke aus Kurtágs mehrbändiger, bis heute wachsender Sammlung „Jatékók“ (Spiele), darunter das bereits erwähnte „Aus der Ferne“ und zwei seiner BACH-Transkriptionen. Eine davon, die Bearbeitung für drei Hände der „Triosonate Nr. 1 BWV 525“, die Kurtág einst mit seiner heute verstorbenen Frau Márta aufführte, ist nun Ólafsson gewidmet. Víkingur und seine Frau HALLA ODDNÝ MAGNÚSDOTTIR spielen sie gemeinsam und setzen so die Tradition der Kurtágs fort.
Zwischen den Stücken von Kurtág finden sich kurze Werke anderer Komponisten, darunter MOZART, SCHUMANN, BRAHMS und BARTÓK, sowie isländische und ungarische Volkslieder. Insbesondere Musik, die mit der Natur verbunden ist, wurde ausgewählt, von SCHUMANNs „Vogel als Prophet“ über Kurtágs „Flowers We Are“ und „Spatzenlärm“ (ebenfalls mit Ehefrau Halla) bis hin zur Weltersteinspielung von THOMAS ADÈS’ „The Branch“. Adès’ Werk wurde eigens für dieses Album geschrieben und wird von Ólafsson »ein faszinierendes Traumbild« genannt, »in dem man die Lichtflecken auf dem Waldboden zu sehen meint«. Der 38-jährige Pianist spielt außerdem drei eigene Transkriptionen – das Adagio aus BACHs „Violinsonate Nr. 3“, MOZARTs „Laudate Dominum“ und das „Ave Maria“ des isländischen Komponisten SIGVALDI KALDALÓNS. Letzteres ist seine erste Transkription überhaupt und er hat sie Halla gewidmet. Mit seiner MOZART-Bearbeitung für Kurtág schließt sich der Kreis.
»Das Album ist geprägt von innigen Zwiegesprächen und Botschaften aus der Ferne«, sagt VÍKINGUR ÓLAFSSON, »dicht gefügten Kanons, Transkriptionen und Widmungen, aber auch von den Nachklängen fast vergessener, uralter Melodien.«. Mir persönlich ist „From Afar“ ehrlich gesagt ein wenig zu verhalten und reduziert, aber wahrscheinlich bin ich einfach ein Kulturbanause, der nicht einmal die feinen Facetten zwischen Konzertpiano und Klavier nicht erkennt. Bei mir gab es auch nur ein komplett verstimmtes Kneipenklavier bei Verwandten, das für den „Flohwalzer“ und „Alle meine Entchen“ gerade so reichte, während es in Ólafssons Kindheit zwei Tasteninstrumente gab: den Steinway seiner Eltern und ein altes Klavier, das er im Alter von sieben oder acht geschenkt bekam, mit einem »warmen, verträumten« Klang. Nachdem er schon zuvor mit Aufnahmen auf einem Klavier experimentiert hatte, schien ihm das Konzept dieses Albums genau passend, um das Repertoire doppelt einzuspielen – einmal auf einem Steinway-Konzertflügel und einmal auf einem Klavier mit Filzdämpfung. Wiederum folgt Ólafsson hier Kurtág, der ebenfalls eine Reihe von vierhändigen Stücken auf einem Klavier mit Filzdämpfung aufgenommen hat, »mit ganz wunderbarem Ergebnis«, wie Ólafsson feststellt. Das prachtvolle Spektrum und die unendliche Farbpalette eines Konzertflügels könne das Klavier zwar nicht ersetzen, sagt er, aber es habe »etwas Vertrauliches, eine flüsternde Intimität«, die es besonders mache. »Nachdem ich dieses Album aufgenommen hatte, blieb die Entscheidung, welche Fassung veröffentlicht wird. Und dann ging mir auf, dass ich mich gar nicht entscheiden muss, denn ich selbst habe keinen Favoriten. Das wäre ein bisschen so, als ob man sich zwischen seinen beiden Kindern entscheiden muss. Aber es macht mich glücklich, sie gemeinsam hinaus in die Welt zu schicken.«
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