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WERMUT - Anna

VN:F [1.9.22_1171]
Artist WERMUT
Title Anna
Homepage WERMUT
Label PUNCH RECORDS
Leserbewertung
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5.5/10 (4 Bewertungen)

Eine extravagante Veröffentlichung auf einem extravaganten Label: Nur so kann man das Kunstwerk bezeichnen, welches nun seit geraumer Zeit in meinem Player rotiert. Die Weltbürger WERMUT überraschten auf jedem ihrer bisherigen 3 Tonträger mit neuen musikalischen Facetten, welche aber immer einer bedeutenden musikalischen Leitlinie folgten. Die Leitlinie der Freiheit, der Extravaganz fernab irgendwelcher Genrekonventionen. Ob Neofolk bei Old Europa Café oder Minimal Electro auf ihrer hauseigenen Soundwerkstatt „Treue um Treue“, immer zeigte man sich einer gewissen Intellektualität verpflichtet, die jeglichen Anflug von Konformismus im Keim erstickt. Doch erst jetzt holt man zum großen Schlag aus, jetzt schließt sich der kompositorische Kreis durch ihren ersten Longplayer, erschienen bei Punch Records, der Spielwiese von AIT!s Tairy. Eine wunderschöne Aufmachung – Digipack im Sepiaton – lässt Großes erahnen, und glücklicherweise können Laszlo und Sofia dieses Versprechen auch einhalten.

Dabei handelt es sich um ein Konzeptalbum über titelgebendes Schiff „Anna“, welches in den 70ern real existierte, ein nicht näher bezeichnetes Pärchen namens Reiner und Petra (siehe Foto im Inlet) hatte es von eigener Hand erbaut und segelte damit 3 Jahre lang über den Atlantik. Der Gedanke von Abenteuer und Freiheit, wo könnte er sich besser materialisieren als auf hoher See, wo der Mensch zugleich Steuermann und demütiges Blatt im Wind ist. Wo die materielle Welt keine Rolle mehr spielt und man sich im Einklang mit der Natur befindet. „Lis“ und „Maagen“ sind im übrigens ebenfalls Schiffsnamen, letzteres lief tatsächlich auf Grund und war des Erbauers erste Liebe… Dies als kleine Einleitung in den Storyunterbau, den Rest wird der Hörer selbst erfahren, wenn er im wahrsten Sinne des Wortes eintaucht in die 13 Geschichten voller Poesie.

Über eine Stunde verschmelzen WERMUT ihre akustischen und elektronischen Visionen beinahe kongenial miteinander, lassen sie zeitweilig auch mal asynchron aber niemals kopflos nebeneinander herlaufen. Da gibt es erlesene kleine Elektronik Hits wie den Titelsong oder das an die Gründerzeit des Wave gemahnende „Thetis’ Wrath“, mit seiner hypnotisch-melancholischen Ausrichtung. Die Texte werden von beiden Protagonisten derweil in Englisch, Deutsch und Französisch vorgetragen und unterstreichen somit noch einmal die Kunstfertigkeit in allen Bereichen. „In tiefster Nacht“ wirkt wie eine Miniatur mit theatralischem Gesang, der abschließende Song „Safi“ wie ein orientalisches Beschwörungsritual unkeuscher Sirenen, wobei man auch betont schrägen Tönen nicht aus dem Wege geht. Neben der Elektronik (für die zum Teil HIS DIVINE GRACE verantwortlich zeichnen) werden aber auch warme akustische Klänge nicht außer Acht gelassen, welche wie beim bezaubernden „Vague à l’ âme“ mit den synthetischen eine gelungene Allianz eingehen. Zwischen den „richtigen“ Stücken immer wieder Instrumentalparts (Akkordeon: Frl. Tost), wogende Gischt, die Rekonstruktion von Stimmungen auf und unter der Wasseroberfläche, welche die Scheibe wie einen langen, ruhigen Fluss dahin gleiten lassen.

WERMUT haben mit „Anna“ ein Werk geschaffen, welches sich zwar vorhandener Stile bedient, in seiner Gesamtheit aber etwas völlig neues darstellt. Eine klangliche Odyssee, wie sie ausgereifter nicht sein könnte. Voller Gefühl und Wärme für das Sujet, dahingleitend und doch durchdacht. Wer für eine Stunde der Hektik des Alltags entfliehen möchte, liegt hier genau richtig.

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